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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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daß die Wasserperlen durch die Luft spritzten, und Seb mit mütterlicher Besorgnis angesehen. »Du bist jetzt beinahe ein Mann, und es wird an der Zeit, daß du etwas Nützliches mit deinem Leben anfängst.«
    Seb hatte erst sie angesehen und dann ihren Schild. Er erinnerte sich an das ungewöhnliche Bild auf dem Leder: ein weißer Kranich, der über eine Weide flog. Welcher Göttin huldigte dieser Schild: Hut oder Lanla? Sellaki hatte ihn nie darüber aufgeklärt. »Also?«
    »Ich will Soldat werden, Mutter«, hatte er ihr erklärt und damit eigentlich sagen wollen: Ich möchte so werden wie du. Einen Moment lang hatte sie ihn finster angesehen, und er wußte schon damals, daß sie in jenem Augenblick an seine Krüppelkrankheit gedacht hatte. Bis er sechs Sommer alt gewesen war, hatte er nicht ohne fremde Hilfe laufen können, und auch heute noch war sein linkes Bein kürzer als das rechte. Aber er wollte ihr auf dem Kasernenhof sagen, daß er damit gut zurecht kam. Er lief über alle Wege des Deltas, bis er völlig ausgepumpt war. Er wußte bereits, wie man die Axt und den Speer handhabt. Und in der ganzen Stadt gab es keinen Knaben, der ihn im Schwimmen schlagen konnte. Einmal hatte er sogar – ohne daß Sellaki es je erfahren hatte – ganz allein den Fluß dort durchschwommen, wo die Wirbel am gefährlichsten waren. Er hatte sich sogar einen Stein an das zu kurze Bein gebunden, nur um zu zeigen, daß ihn auch das nicht aufhalten konnte. Aber in jenem Moment, damals in seiner Knabenzeit, hatte er nichts von alledem gesagt, sondern geschwiegen und sich bemüht, den strengen Blicken der Mutter standzuhalten Sellaki hatte dann die Furcht und die Sorge auf seinem Gesicht bemerkt und laut gelacht. Sie hatte ihm auf die Schulter geklopft, so als sei er bereits ein Waffenbruder.
    »Ich denke, das willst du tatsächlich«, hatte sie gesagt. Seine Erleichterung war so groß gewesen, daß er am liebsten zur gleichen Zeit geweint, gelacht und gebrüllt hätte. »Melde dich morgen bei Sonnenaufgang hier, und deine Schwester Lyra wird dich ausstatten.«
    »Vielen Dank, Mutter«, hatte er gesagt und dabei wie immer bedauert, daß es ihm nicht möglich war, ihr mit den richtigen Worten zu erklären, was er dachte. Danach waren sie zusammen durch die Stadt spaziert, und sie hatte ihm dabei einige Dinge erzählt, die er jedoch schon wußte. Daß seine Tante, die Königin, die Armee nicht sonderlich schätze und daß alles im Zerfall begriffen sei.
    »Dann brauchst du mich ja um so dringender«, hatte er stolz gerufen und sich bereits wie ein richtiger Soldat gefühlt. Noch heute erinnerte er sich daran, wie seine Mutter ihn nach diesem Ausruf umarmt und wie ein Baby an sich gedrückt hatte. Und er war sehr wütend darüber gewesen, daß sie ihn noch immer nicht wie einen Mann behandeln wollte.
    »Du hast eine besondere Liebe zu aussichtslosen Dingen, nicht wahr, Seb?« hatte sie dabei gesagt. Und erst Jahre später, als er nämlich Inanna kennenlernte und sich in sie verliebte, erkannte er, wie recht seine Mutter damals gehabt hatte.
    Inanna. Wenn ihm nur ihr Name in den Sinn kam, hätte Seb am liebsten seine Faust durch etwas Hartes gestoßen – durch einen Schild oder durch eine Mauer –, denn er hatte nie die passenden Worte bereit, um ihr zu sagen, wie er für sie empfand. Warum war es ihm einfach nicht vergönnt, den Gefühlen so Ausdruck zu verleihen, wie das jeder andere auch konnte? Wenn er versuchte, ihr seine Liebe zu gestehen, fing er an zu stottern und stampfte auf der Wiese der Sprache wie ein blödes Rindvieh umher, bis er sich so sehr schämte, daß er überhaupt keinen Ton mehr herausbekam. Und dabei war er stets von der Angst erfüllt, sie könnte ihn auslachen. Er rechnete es ihr hoch an, daß sie es nie getan hatte. Ich liebe dich, hätte er ihr so gern gesagt. Als ich dich zum erstenmal sah, mit dem dicken, schwangeren Bauch, wie du mutig wie der tapferste Soldat zu Lyra und mir hinuntergesehen hast, da wußte ich: Das ist die Frau, die zu erobern jeden Aufwand rechtfertigt! Ich liebe deine Schönheit, deinen Mut, deine Schnelligkeit. Deine Augen sind so grün wie der Fluß im Frühjahr, dein Haar ist so schwarz wie der Flügel einer Krähe, und wenn deine Stimme an mein Ohr dringt, fühle ich Harmonie und Heiterkeit in mir. Aber er hatte nie einen einzigen von diesen Sätzen zu ihr gesagt, nicht einmal dann, als sie ihn endlich doch in ihr Bett gelassen hatte. Er wußte nur zu gut, daß sie seine Liebe

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