Kornmond und Dattelwein
besorgen.
Sie setzte sich an die Wand, nahm ihre Rüstung ab und fing an, die Metallteile mit nassem Sand zu polieren. Bald trat ein mattes Glänzen auf das Kupfer, was Lyra mit einiger Befriedigung registrierte. Sie mochte es, wenn alles in gepflegtem Zustand war. Nach einer Weile sah sie von ihrer Arbeit auf und entdeckte Inanna, die mit Alna auf der Hüfte den Exerzierplatz überquerte. Was wollten die beiden denn hier schon so früh am Morgen?
Alna begann zu lachen und an den Zöpfen ihrer Mutter zu ziehen. Sie war quicklebendig und trat wie eine Schwimmerin um sich. Ein hübsches Kind, das sich rasch entwickelte. Lyra lächelte. Sie liebte alle Kinder sehr, Alna aber am meisten von allen. Dann fiel ihr Blick auf Inannas Gesicht, und das Lächeln auf ihren Lippen verging.
»Ich muß mit dir reden«, rief Inanna schon, bevor sie Lyra erreicht hatte. Ihr Gesicht war sehr blaß, und unter den Augen hatte sie dunkle Ringe. War sie krank? Lyra sah, wie Inanna einen behutsamen Blick auf die Soldaten am Wachhaus warf. Offensichtlich wollte sie unter vier Augen mit ihr reden.
»Komm mit in meine Kammer. Dort können wir reden.« Die Erleichterung auf Inannas Gesicht war so deutlich zu erkennen, als sei sie dort hineingemeißelt worden. Lyra legte ihr die Hand auf die Schulter, und dann marschierten die beiden schweigend zu den Unterkünften. Irgend etwas stimmt nicht, dachte Lyra, ich sehe es deutlich ihren Augen an.
Ein kleiner Raum mit grob verputzten Wänden, einem festgetretenen Lehmboden, einem schmalen Bett, das ebenso hart aussah wie der Boden, und zwei Schemeln aus Ton. Lyra sah stolz auf ihren langen Schild, der an der Wand hing, auf ihre Speere und auf die Pfeile, die in einem ordentlichen Bündel in einer Ecke standen. Auf einem der beiden Schemel lag die Ahle, die sie für Flickarbeiten an ihren Sandalen benötigte, neben dem Schleifstein und einem halben Laib trockenen Brotes. Ihr gefiel die Kargheit der Einrichtung, die Ordnung in ihrem Quartier und die Reinlichkeit der Kammer. Alles hier war einfach. So einfach sollte das Leben auch sein, war es aber leider nie.
Sie hob die Ahle, den Schleifstein und das Brot vom Schemel und legte sie sorgfältig aufs Fensterbrett. Dann ließ sie sich auf dem Stück nieder, legte die Hände auf die Knie und sah Inanna an. »Nun sag mir, was los ist.«
Inanna nahm auf dem anderen Schemel Platz und schob Alna auf ihren Schoß. »Ich möchte hier wie die anderen Rekruten ausgebildet werden.«
»Und warum?«
»Ich muß endlich lernen, mich verteidigen zu können.«
»Gegen wen?« fragte Lyra, obwohl sie die Antwort bereits kannte. »Gegen Rheti. Letzte Nacht hat sie versucht, mich mit einer Schlange zu ermorden. Fast wäre es dabei um Alna geschehen gewesen.« Lyra starrte auf das Baby und wurde sehr zornig. Überall Intrigen und Verschwörungen. Wenn die Armee schwach war, brach auch alle andere Ordnung zusammen. Niemand war mehr sicher, nicht einmal mehr die kleinen Kinder. Verflucht sei Rheti, und verflucht sei auch die Königin!
Lyra stand auf, durchquerte das Zimmer mit zwei Schritten, nahm einen Speer und reichte ihn Inanna. »Hier. Gib mir das Kind und geh mit dem Speer nach draußen. Nahe dem Brunnen an der Mauer steht ein Heuballen. Wenn du diesen Spieß dreimal hintereinander in sein Zentrum wirfst, kannst du zu mir zurückkommen, und dann unterhalten wir uns weiter.« Hatte Inanna das, was einen guten Soldaten ausmachte? Ihre Arme wirkten kräftig, aber viel wichtiger waren Wille und Entschlossenheit. »Es ist nicht eben einfach, das Kämpfen zu lernen.«
Inanna nahm den Speer und maß ihn grimmig. »Das habe ich auch nicht erwartet.« Grüne Augen, starrer Blick und etwas Wildes, Unbezähmbares dahinter. Wo habe ich so etwas schon einmal gesehen? fragte sich Lyra. In den Augen eines kleinen Wolfs, den sie und ihre Schwester als kleine Mädchen in einer Falle gefangen hatten. Ein kleines Fellknäuel, kaum größer als ein Kaninchen. Dieses Wolfsjunge hatte den gleichen Blick in den Augen gehabt. Als sie versucht hatten, das Tier aus dem Netz zu holen, hatte es die Maschen durchnagt und sich mit den Läufen einen Weg nach draußen erkämpft. Völlig verdattert hatten die beiden dagestanden und ihm nachgesehen.
Draußen auf dem Hof übten Soldaten mit stumpfen Speeren, und die Luft war bereits von Staubwolken erfüllt. Lyra beobachtete von der Tür aus, wie Inanna den Spieß auf da304iel schleuderte. Bis auf ein Mal verfehlte sie regelmäßig das Ziel.
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