Kornmond und Dattelwein
die Augen bereits geschlossen. »Ich wache vor deiner Tür.« Sie nickte Seb nur dankbar zu, denn sie war viel zu müde zum Sprechen. »Schlaf gut.« Er blies die Lampe aus und ging.
Aber Inanna schlief nicht gut. Lange Zeit lag sie wach, starrte an die Decke und preßte Alnas kleinen Körper fest an sich. Wie hatte sie nur vor der Gefahr die Augen verschließen können? Sie hätte mehr Fragen stellen, sich noch weiter erkundigen sollen. Sie hätte sich schon längst in der Handhabung von Waffen üben sollen. Sie hätte stärker auf die Königin einreden sollen, hätte ihr deutlich machen müssen, daß die einzige Möglichkeit, Rheti loszuwerden, die war, die Armee auf- und auszubauen. Solange die Truppe stark und loyal war, brauchte man keine Aufstände zu befürchten.
Inanna wälzte sich ruhelos in ihrem Bett herum. Die Königin war eine Närrin; sie weigerte sich schlicht, sich der Wirklichkeit zu stellen. Warum hatte sie sich nicht stärker bemüht, die alte Königin von der Notwendigkeit der Kriegsvorbereitungen zu überzeugen? Nur so ließ sich Rheti das Maul stopfen und sie ein für allemal zum Schweigen bringen, ließ sich das Nomadenheer zerschlagen und dem Volk der Berge endgültig die Lust an weiteren Unternehmungen in die Ebene nehmen, ließ sich Pulal töten.
Wochen, ganze Monate mit Nichtstun verschwendet! Die Mutterschaft hatte sie verweichlicht. Was war aus ihrem Racheschwur für Lilith und Enkimdu geworden? Hatte Alnas Geburt den Wolf in ihr gezähmt? Verdammt, sie hätte etwas unternehmen sollen, statt immer nur im Palast herumzusitzen und sich wie eine Taube im Käfig mästen zu lassen! In dieser Minute freute sich Pulal seines Lebens. Was plante er wohl in diesem Augenblick? Und was tat sie eigentlich in diesem Augenblick? Wollte sie ihn denn tatsächlich an Altersschwäche sterben lassen?
Das Mondlicht strömte durch die Tongitter und erzeugte helle Rauten auf dem weißen Putz. Ein Nachtvogel rief und schwieg dann. Inanna setzte sich auf. War sie denn sicher, hier in ihren eigenen Gemächern? Die Wände waren glatt, ohne Fugen oder Vertiefungen, an denen jemand hochsteigen konnte, und die Fenster waren verriegelt. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, wie dick und fest die Gitter waren, aber die Angst ließ sich nicht verjagen. Wie viele Nächte hatte sie allein in den Bergen geschlafen, wo wilde Tiere um sie herum geheult und gebrüllt hatten? Endlich war sie so erschöpft, daß sie die Augen schloß, Alna noch fester an sich drückte und einschlief.
Der Schlaf hielt sie noch im Griff und beschwerte ihre Lider wie mit Blei. Inanna kämpfte sich ein Stück weit von ihm frei und sah lach um. Der Mond war bereits untergegangen, und es war stockdunkel im Zimmer, so finster, daß es ihr wie eine andere Art von Schlaf vorkam. Alna atmete ruhig und gleichmäßig neben ihr. Das einzige andere Geräusch kam vom Springbrunnen draußen im Hof. Halt, war da nicht noch etwas? Inanna fuhr hoch und lauschte. Ein Rascheln wie von Blättern, die der Wind über Steine wehte. Ein leises Geräusch, fast wie ein Zischen. Dann hörte sie es wieder, und es kam ihr so vor, als sei es ein gutes Stück nähergekommen. Sie streckte einen Arm in die Finsternis hinaus, fuhr mit den Fingerspitzen über die Decke und fühlte etwas Kaltes und Glattes unter ihrer Hand und an ihrem nackten Arm.
Sie erinnerte sich später nicht mehr daran, ob sie geschrien hatte. Sie wußte nur noch, daß Seb plötzlich an ihrem Bett stand und eine Fackel hochhielt. Eine Kobra lag auf der Decke und hatte den Kopf erhoben, der nur wenige Fingerbreit von Alnas Gesicht entfernt war. Das Baby lag ganz ruhig da. Seine Wangen waren vom Schlaf erhitzt. Wenn Alna jetzt ein Geräusch von sich gab oder auch nur die leiseste Bewegung machte, würde der Schlangenkopf augenblicklich schnellen. Inanna war wie gelähmt, und auch Seb stand wie festgefroren da. Einen Augenblick lang war das Schweigen in dem Zimmer absolut.
Dann kam es: Zischen, Kopf schaukeln, weiße Giftzähne. Seb stieß mit der Fackel zu und traf die Schlange mitten im Angriff. Die Flammen trafen das Tier direkt am Hals. Die Kobra flog vom Bett, fuhr zuckend herum, stieß wieder zu und verfehlte Sebs Arm nur knapp. Inanna riß Alna in Sicherheit. Mit einer raschen Bewegung löste Seb die Axt von seinem Gürtel und schleuderte sie auf das Tier. Er traf die Schlange am Kopfansatz. Die Kobra plumpste auf den Boden und blieb reglos liegen. Seb trat vor, stellte einen Fuß auf den
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