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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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nicht erwiderte. Warum hätte sie ihn auch lieben sollen. O, er wußte viel mehr von ihren verborgenen Gefühlen, als sie vermutete. Er wußte sogar von Enkimdu. Er und sein Vetter waren oft für Zwillinge gehalten worden, sowohl in ihrer Jugend als auch später noch. Man munkelte sich im Palast zu, daß die beiden denselben Vater hatten, obwohl das niemand mit Bestimmtheit wußte. Einmal hatte ihm eine alt gewordene
Lant
erzählt, daß sowohl die Königin als such Sellaki Gefallen an einem blauäugigen Händler gefunden hatten. Ein fremdartig aussehender Riese, der aus dem hohen Norden gekommen war und magische Steine feilhielt, die man anzünden konnte. Sie verbreiteten dabei den Geruch von Zedernholz. Alle Frauen im Palast, so hatte die
Lant
erklärt, hätten einen solchen Stein haben wollen, denn wie der Händler verbreitete, ließen sie Mühen und Plagen vergessen und schenkten einem Heiterkeit.
    »›Söhne-des-Fremden-mit-den-himmelblauen-Augen‹, so nannte man euch beide, als ihr geboren wurdet, kaum einen Tag auseinander«, hatte die
Lant
gesagt, »und ihr wart euch ähnlich wie eine Bohne der anderen.«
    Aber da hatte sie sich geirrt. Enkimdu war immer der überlegenere gewesen und konnte die schönsten Dinge sagen. Er kann mit Worten die Fische in sein Netz locken, erzählten sich die Leute über ihn. Ihn, Seb, hingegen hatte man immer für stark, aber langsam gehalten, ein guter, aber leidenschaftsloser Mann. Nur seine Mutter Sellaki hatte ihn gesehen, wie er wirklich war, hatte die Strudel und Klippen, die dunklen und wilden Stellen unter seiner Oberfläche erkannt.
    Warum sollte er da Inanna Vorwürfe machen, daß sie ihn nicht verstand. Er wußte für sich, daß er die einzige Frau gefunden hatte, die er jemals haben wollte. Mochte sie sich doch einreden, er sei ein anderer, auf lange Sicht kam das auf das gleiche heraus. Seb dachte praktisch. Enkimdu war tot, und er lebte noch. Vielleicht würde Inanna eines Tages seine Liebe für sie erkennen, auch wenn er ihr dies nicht mit Worten begreiflich machen konnte. Vielleicht würde sie ihn eines Tages wieder in ihr Bett lassen und ihn als Seb und nur als Seb lieben.
    Vielleicht aber auch nicht. Er wollte auf jeden Fall abwarten und sehen, wie sich die Dinge entwickelten.
     
    »Wirf, verdammt nochmal!« brüllte Lyra. Eine der vier Soldaten, ein etwas zu kurz geratenes Mädchen von vierzehn oder fünfzehn Jahren, hob den Arm und schleuderte ihren Speer mitten ins Zentrum des Heuballens. »Gut gemacht, Tarna.« Das Mädchen strahlte stolz und rannte zum Ballen, um ihren Speer herauszuziehen. Wenn sie weiter fleißig übte, würde ein ganz passabler Rekrut aus ihr werden, besser jedenfalls als die meisten anderen Neuen, die in diesen Zeiten zum Militär kamen. Putzstücke regneten von der Wand und fielen auf den hartgebackenen Lehmboden des Exerzierplatzes. Große Göttin, war es denn zu fassen, daß keiner von den drei anderen den Heuballen auch nur gestreift hatte? Waren sie denn blind?
    »Streckt den Rücken und gebt euch gefälligst mehr Mühe! Sperrt die Augen auf, dann seht ihr auch, wohin ihr werfen müßt, ihr Bande von hirnlosen Wasserschnecken!« überhaupt keinen Mumm in den Knochen, das war das Problem mit dem Nachwuchs. Und solange sie nicht selbst dabei war und die Zielübungen der Neuen überwachte, taten die gar nichts und vertrödelten ihre Zeit. Kein Wunder, daß sie nie das Ziel trafen. Als ihre Mutter noch die Neuen ausgebildet hatte, war vieles anders gewesen. Die besten Söhne und Töchter der Stadt waren in die Armee geströmt. Aber heute . . . Lyra sah auf die beiden bartlosen Jünglinge und die beiden mageren Mädchen und dachte, was für ein trauriger Haufen das war. Tage wie diese ließen sie daran zweifeln, ob es überhaupt noch einen Sinn hatte, sich für die Armee oder die Stadt einzusetzen.
    Tarna fuhr damit fort, ihren Speer ins Ziel zu schleudern. »Mach mal eine Pause.« Es brachte nichts ein, wenn das Mädchen sich überanstrengte oder sich eine Zerrung holte. Tarna hörte mißmutig mit den Wurfübungen auf und lief zu den drei anderen.
    Lyra sah den vieren nach, wie sie im Wachhaus verschwanden. Dann ging sie zum Brunnen, schöpfte einen Krug Wasser und nahm einen langen, erfrischenden Zug. Sie bemerkte, daß der Rand des Kruges eingeschlagen war. Jemand hatte ihn wohl achtlos gegen den Brunnen krachen lassen. Wohin man sah, nur kleine Pannen, Schwierigkeiten und Probleme. Sie mußte daran denken, einen neuen Krug zu

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