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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Hohepriesterin in der Hölle verrotten!« rief Inanna.
     
    »Wo ist sie? Wo ist Alna?« Inanna achtete nicht auf die erschrockenen Gesichter der Hebammen. »Wo ist mein Kind?«
    »Hier,
Muna.
Alna schläft in ihrem Bett.«
    Inanna umarmte ihr Kind, drückte die Wärme des kleinen Körpers gegen ihre Haut und küßte es wild und hemmungslos. Alna erwachte und rieb sich mit den Fäusten die Augen. »Mein Liebes, mein Schatz. Ich wollte dich nicht erschrecken. Hab keine Angst. Niemand wird dir etwas zuleide tun, solange deine Mama am Leben ist. Das schwöre ich dir!«
    »Was ist denn geschehen?« Seb stand in der Tür. Tiefe Besorgnis stand auf seiner Miene. »Wo bist du gewesen?«
    Inanna setzte sich auf einen dreibeinigen Schemel, legte Alna an die Brust und starrte müde ins Leere. Die vertraute Umgebung kam ihr so vor, als sehe sie sie zum erstenmal: die cremefarbenen Wände mit den geometrischen Symbolen und Vogelmotiven; die Lampen aus Kupfer und Ton auf den niedrigen Tischen; die dicken Grasmatten, die den Boden bedeckten; ihr Bett, bezogen mit den hauchdünnen Laken, die in der Abendbrise wogten. Friede, Harmonie, Geborgenheit. Sie dachte an die Höhle, den Käfig voller Schlangen und den sonderbaren Eunuchen, und ein neuer Zornanfall wuchs in ihr.
    »Die Hohepriesterin ist über ihre Göttin wahnsinnig geworden!« »Du bist im Tempel gewesen?«
    »Ja.«
    Sie sah die Sorge in seinem Gesicht und auch den Schmerz, daß sie ohne ihn gegangen war. »Du hättest dich in große Gefahr bringen können.« Er streckte den Arm aus, schien sie berühren zu wollen und zog dann die Hand wieder zurück. »Rheti ist voller Tücke.«
    »Warum schafft sich die Königin diese Blinde denn nicht vom Hals? Oder schickt sie ins Exil?«
    »Rheti verfügt über zuviel Macht.«
    »Macht? Sie ist doch schon halb tot. Und sie hat keine Soldaten. Ich selbst hätte sie heute abend umbringen können. Wahrscheinlich hätte ich es besser auch getan.«
    Seb schüttelte den Kopf. »Du unterschätzt sie. Die Menschen hier glauben fest daran, daß sie die Ernte vernichten, eine Pest bringen oder den Fluß über die Ufer treten lassen kann, bis er die ganze Stadt überschwemmt.«
    »Und, kann sie das?«
    »Wer will das wissen?« Seb ließ sich nieder und legte die Hände auf die Knie. »Im Grunde kommt es gar nicht darauf an, ob sie einen Fluch über die Stadt legen kann oder nicht. Viel wichtiger ist, was die Menschen hier glauben. Sollte die Königin es wagen, etwas gegen Rheti zu unternehmen, käme es sofort zu einem Aufstand.«
    »Die Königin ist nur feige! Wenn ich sie wäre, würde ich in diese Höhle unter dem Tempel marschieren und . . .« Sie unterbrach sich abrupt, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Den anderen im Raum war das Unbehagen deutlich in den Gesichtern abzulesen.
    »Du siehst blaß aus. Du solltest etwas essen.« Seb hob ein Tuch von einer Schüssel mit gekochten Rebhühnern, einer anderen mit gedünstetem Weizen, unterlegt mit Weintrauben, und einer dritten mit Pfirsichen in Honig. Und schließlich reichte er ihr auch noch einen großen Krug Bier.
    »Ich habe keinen Hunger.« Inanna lehnte sich ein Stück zurück und preßte Alna fester an sich. Das Saugen des Babys dämpfte ihren Zorn. Seb bediente sich von der Mahlzeit und trank reichlich von dem Bier. Er aß schweigend und gleichmütig und schien sich ganz in seinen Gedanken verloren zu haben. Als er fertig war, wischte er die Klinge seines Messers ab und steckte es in den Gürtel zurück.
    »Du weißt nicht, wie es hier zuging, als Rheti noch nicht Hohepriesterin war«, sagte er schließlich. »Woher sollst du daher die besonderen Verwicklungen verstehen können? Ich hätte dir die ganze Geschichte schon längst erzählen sollen.«
    »Wovon redest du da eigentlich?«
    »Rheti hat alles in der Stadt verändert.«
    »Was soll das denn nun wieder heißen?«
    »Bevor sie Hohepriesterin wurde, sah die Verehrung von Hut ganz anders aus.«
    »Wie anders?«
    Er spitzte die Lippen, so als suche er nach dem richtigen Wort. »Fröhlicher, wir haben damals beide Göttinnen gleichermaßen verehrt.« Er streckte die Hände aus und hielt sie aneinander. »Es herrschte eine Art Gleichgewicht zwischen den beiden.« Er stand auf und trat ein paar Schritte vor, bis er in der Mitte des Zimmers stand. »Hut war Verfall, aber auch Leben! Sie war die Winterhälfte des Zyklus, der das Jahr komplett macht. Sie war die verfaulten Strünke, die wir in den Boden pflügten, um den

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