Korona
Zeilen. »E.M.K. Mulira«, flüsterte sie. »English – Luganda Dictionary, 1952 . Hier sieh mal, Dan.«
Der Geologe blätterte eine Weile darin, dann sagte er: »Das ist aber nicht das Original, oder? Die Seiten sehen aus, als wären sie mit der Hand geschrieben worden.«
Oyo freute sich sichtlich über die Neugier seiner Gäste. »Sie haben recht«, sagte er. »Es ist eine Abschrift. Das Original liegt sicher verwahrt in der großen Bibliothek. Ich selbst habe es nur einmal gesehen. Dieses hier wurde angefertigt von Kalligraphen der Hohen Schule. Jede
Zunge
trägt ein eigenes handgeschriebenes Exemplar.«
Amy deutete auf das Impressum. »Schau mal, sie haben selbst das Impressum abgeschrieben:
Society for promoting Christian Knowledge.
Bestimmt das Handbuch eines Missionars.« Sie hob den Kopf. »Die Hexenmeisterin der Bugonde hat doch erzählt, dass ihr Vater Missionar gewesen war. Vielleicht war es sein Buch. Vielleicht trug er es bei sich, als er in das Portal geriet.«
Dan nickte. »Möglich ist das, aber wir werden es vermutlich nie erfahren.« Er gab das Buch an Oyo zurück, der es dankbar lächelnd wieder in seinen Umhang steckte. Dann blickte er wieder nach vorn. Die Träger hatten die Gasse verlassen und waren auf einen ringförmigen Platz hinausgelaufen, der einen mächtigen Gebäudekomplex umgab. Es war das Bauwerk, das Amy schon beim Anflug auf die Stadt entdeckt hatte. Unheilverkündend und mehrfach ineinander verschachtelt, schraubten sich vier Türme wie rostfleckige Werkzeuge in die Höhe. Sie flankierten ein Gebäude, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Pyramide aufwies, durch die sie diese Welt betreten hatten. Bernsteinfarbenes Licht lag auf ihren Flanken und ließ die Stockwerke wie Bronze erstrahlen.
Quer über den Platz zog sich ein Wall, der an der zentralen Stelle von einem Tor durchbrochen wurde. Schwerbewaffnete Kriegerinnen bewachten den Eingang.
Amy wusste nicht, was sie mehr verblüffte. Die Größe dieses Gebäudes oder die Tatsache, dass sie das alles hier verdächtig an die Stadt der Bugonde erinnerte.
Für Antworten blieb jedoch keine Zeit. Sie hatten den Palast erreicht. Schon bald würden sie erfahren, warum sie hierhergebracht worden waren.
61
K arl biss die Zähne zusammen. Der Verbandswechsel war jedes Mal eine schmerzhafte Angelegenheit. Die G’ombe waren zwar in ihrem Umgangston etwas ruppig, aber was die Pflege von Wunden betraf, so waren sie darin wahre Meister. Sie verfügten über ein ausgeprägtes Wissen an Mineral- und Pflanzenkunde und waren in der Lage, hochwirksame Pulver, Salben und Tinkturen herzustellen. Karl hatte ein junges Weibchen zur Seite gestellt bekommen, das auf den Namen
Ch’kun
hörte. Eine dralle, vorwitzige Erscheinung, der es ungeheuren Spaß zu machen schien, ihn bei jeder Gelegenheit herumzukommandieren und zu bevormunden. Mellie beobachtete die Prozedur mit großem Vergnügen. Es schien fast so, als sei sie der Meinung, Karl habe diese Behandlung verdient.
»Könntest du ihr wenigstens sagen, dass sie aufhören soll, mir immerzu den Kopf zu kraulen«, klagte Karl. »Am Anfang war es ja ganz lustig, aber inzwischen bin ich nur noch genervt.«
»Sag es ihr doch selbst, wenn dir so daran gelegen ist.«
»Wie denn?«, protestierte er. »Mit meinem einbandagierten Arm kann ich keine Zeichensprache machen. Wie soll ich mich da verständigen? Ich bin kein kleines Kind, das man streicheln und hätscheln muss.«
»Ich bin sicher, es tut dir gut«, sagte Mellie. »Du hast in letzter Zeit viel zu wenig weibliche Fürsorge zu spüren bekommen.«
»Von wem ich mich streicheln lasse, entscheide immer noch ich«, pflaumte er zurück. »Und wenn ich mir schon eine Partnerin aussuche, dann sicher keine, die behaarte Brüste hat und unter den Achseln riecht.«
»Nimm es mir nicht übel«, grinste Mellie, »aber ich halte mich da raus. Ch’kun weiß, was für dich das Beste ist, und sie kann ziemlich pampig werden, wenn jemand ihr reinredet. Klär du das mit ihr und lass mich aus dem Spiel.«
»Na prächtig«, schnaufte Karl. »Geballte Frauensolidarität, das hat mir gerade noch gefehlt.« Er gab den Widerstand auf. Im Geiste musste er zugeben, dass die Affendame außerordentlich geschickte Finger besaß. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so angenehm gekrault worden zu sein. Aber musste es unbedingt ein Gorilla sein? Konnte er nicht auch mal Glück bei normalen Frauen haben, so wie Ray?
Er war im Begriff, die Massage zu genießen,
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