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Korona

Korona

Titel: Korona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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nicht geheuer. Der Affe blieb allenthalben stehen, blickte in die Runde und hielt seine Nase in die Höhe. Trotz seiner Nervosität wich er nicht von Rays Seite. Aus der einfachen Zeichensprache, mit der sich die G’ombe untereinander verständigten, meinte Ray herauszulesen, dass es so etwas wie eine Blutschuld gab. Indem er K’baa aus den Fesseln der Jäger befreit hatte, war er damit zum Herrn über sein Leben geworden. Diese Art der Schuldbegleichung war beileibe nichts Ungewöhnliches. Viele einfache Kulturen pflegten diese Tradition, doch es war höchst verwunderlich, dass es dieses Ritual auch bei Affen gab.
    Aber waren es denn überhaupt Affen?
    Ray beobachtete seinen Begleiter aus dem Augenwinkel. Er ertappte sich dabei, dass er tief in seinem Inneren immer noch eine Grenze zog zwischen Mensch und Tier. Aber war das überhaupt vertretbar? Stimmte nicht vielmehr, was Verhaltensforscher wie Desmond Morris oder Jared Diamond seit Jahren postulierten, dass nämlich der Mensch in Wirklichkeit nur ein unbehaarter Affe war? Oder umgekehrt, dass die vier Primaten Gorilla, Orang-Utan, Schimpanse und Bonobo in Wirklichkeit der Gattung
Homo
zugeordnet werden mussten? Was waren die Menschen eigentlich für Kreaturen, dass sie aus Profitgier ihre eigenen Brüder und Schwestern einsperrten oder töteten?
    97 , 7  Prozent des Erbgutes eines Menschen sind identisch mit dem eines Gorillas. Bei Schimpansen war der Unterschied sogar noch geringer. Molekularbiologisch stehen Menschen den Primaten näher als Kamele den Lamas oder Mäuse den Ratten. Das kalifornische Gorillaweibchen Koko versteht rund zweitausend Wörter und verfügt über einen IQ zwischen 70 und 95  – der normale menschliche Intelligenzquotient liegt bei 100 . Koko ist in der Lage, Zeitbezüge auszudrücken und sogar Witze zu machen, und auf die Frage, warum sie nicht wie ein Mensch sei, antwortete sie folgerichtig: »Koko – Gorilla.« Wirklich verblüffend aber ist, dass sie ganz offensichtlich eine Vorstellung vom Tod hat. Auf die Frage, was der Tod sei, antwortete sie mit drei Zeichen: »Gemütlich – Höhle – Auf Wiedersehen.«
    Mit jeder Minute, die Ray mit seinem neuen Freund K’baa verbrachte, wurde seine Hochachtung vor dieser Spezies größer. Der Mensch sei die Krone der Schöpfung, hieß es, geformt nach dem Ebenbild Gottes. Alle anderen Lebewesen seien nur niedere Kreaturen. Was für eine Anmaßung. Musste das Menschenrecht nicht vollkommen neu definiert werden? Bei diesen Gorillas hier wurde die Unterscheidung noch schwieriger. Sie hatten zweifellos einen Evolutionssprung durchlaufen und waren von Berggorillas über Höhlengorillas zu den G’ombe übergegangen. Sie verhielten sich in vieler Hinsicht genauso, wie man es von der Urform des Menschen her kannte. Staatenbildung, Handwerkskunst, Sozialverhalten, Erfindungsgeist und Religion, all das war den G’ombe nicht unbekannt. K’baa zum Beispiel trug ein Amulett bei sich, das er hin und wieder auf die Lippen presste. Es war eine kleine, verdrehte Wurzel, die für den Affen von größter Wichtigkeit zu sein schien. Ray hatte nicht herausfinden können, ob es eine Art Waldgott oder etwas anderes darstellte, das war aber auch nicht wirklich wichtig. Tatsache war, K’baa hatte eine konkrete Vorstellung vom Jenseits und vom Leben nach dem Tode. Was unterschied ihn da noch von einem Menschen?
    Ray spürte, dass die Reise ihn verändert hatte. Die neue Umgebung schärfte seinen Blick und ließ ihn über viele Dinge anders denken. Und sie hatte seine Lebensgeister geweckt. Etwas, das er längst verloren geglaubt hatte.
    K’baa, der einige Meter vor ihm lief, war plötzlich stehen geblieben. Er hielt die Nase in den Wind und schnupperte. Jetzt roch Ray es auch: Ozon. Genau wie zum Zeitpunkt des Gewitters. Manche der Bäume sahen trotz der Feuchtigkeit verdorrt aus. Manche wiesen Schmauchspuren auf, als ob hier kürzlich ein Feuer gewütet hatte. Kein Zweifel, sie näherten sich dem Portal, die Indizien waren eindeutig. Die Trockenheit, der Geruch und die abgestorbene Vegetation. Dieser Ort war eindeutig anders. Doch warum? Was war so besonders an dieser Stelle? Warum traten die Veränderungen nur hier so offen zutage und nicht irgendwo anders?
    Es musste einen logischen Grund dafür geben.
    K’baa setzte seinen Weg fort, wurde aber mit jedem Meter unruhiger. Ständig blieb er stehen, blickte zu den Seiten und schnupperte misstrauisch. Er bleckte die Zähne und gab nervöse Geräusche

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