Korona
Verbündeten zu machen. Der Pakt gelang, auch wenn er eine komplette Neuausrichtung der bisherigen Gesellschaftsstruktur verlangte. Aus dem ehemals friedlichen Staat wurde ein totalitäres Regime, das von einer Dynastie rücksichtsloser, gewaltbereiter und halb wahnsinniger Kaiserinnen beherrscht wurde. Die Kriegerkaste der Namenlosen sicherte den Herrscherinnen uneingeschränkte Macht. Das Gleichgewicht, das bis zu diesem Zeitpunkt im Bernsteinmeer geherrscht hatte, kippte. Die Namenlosen wurden zur Geißel der Welt. Schnell, aggressiv und widerstandsfähig, gab es nichts, das ihnen Einhalt bieten konnte, nicht mal die G’ombe. Nach und nach wurden die friedlichen Affen, die schon viele tausend Jahre vor den Kitarern durch das Portal gekommen waren, zurückgedrängt. So lange, bis nur noch ein paar hundert von ihnen am Leben waren. Sie siedelten sich hier in der verborgenen Stadt an und fristeten ein trostloses Dasein. Es sah so aus, als seien sie dem Untergang geweiht, doch dann geschah ein Wunder. Nach ein paar Jahrhunderten versiegte der Strom der Namenlosen. Sie konnten keine Nachkommen mehr zeugen. Aus irgendeinem Grund wurzelte die Alge nur auf Menschen, die jenseits des Portals zur Welt gekommen waren. Kinder, die in dieser Welt geboren sind, werden von ihr gemieden. Es ist, als hätte der Generationswechsel eine genetische Mutation hervorgerufen, die den Wirt resistent gegen die Hyphen macht.
Um zu überleben und um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten, waren die Herrscherinnen also auf Nachschub angewiesen. Boten wurden durch das Portal zurückgeschickt mit dem Auftrag, einen Kontakt zu den dort ansässigen Bugonde herzustellen. Ein Pakt wurde geschlossen, der den Bugonde Wohlstand und Macht sicherte und die Kitarer weiterhin mit Wanderern versorgte.« Er zuckte die Schultern. »Ihr seht also, wir sind in einen Konflikt hineingeraten, der bereits seit über tausend Jahren andauert.«
»Und was geschieht nun mit Amy und Dan? Was hat es mit diesen
Stummen Hallen
auf sich?«
»Wie ich K’baa verstanden habe, eignen sich nur Männer für die Transformation und auch von ihnen nur ganz bestimmte Exemplare.«
»Und die anderen?«
»Werden getötet.« Ray stellte den Krug zur Seite. »Entweder sie werden getötet oder man wirft sie den Namenlosen zum Fraß vor. Wie ich K’baa verstanden habe, gibt es zurzeit nur noch acht von diesen widerwärtigen Kreaturen. Eine von ihnen hat sich zum Zeitpunkt unseres Durchstiegs in der Nähe des Portals herumgetrieben. Die G’ombe hatten ihre Spur kurz vor unserer Ankunft verloren. Möglich, dass sie durch das Portal auf die andere Seite gelangt ist. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was das bedeutet. Die anderen sind entweder irgendwo unterwegs oder sie warten in den
Stummen Hallen.
Doch jetzt habe ich wirklich lange genug geredet. Wenn ich Amy und Dan retten will, muss ich jetzt aufbrechen. Und versucht bitte nicht, mich davon abzubringen. Ich muss es tun, und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem verhunzten Leben noch leiste.« Der Ire stand auf. »Man wird euch rechtzeitig zur Pyramide bringen und dort mit Proviant versorgen. Kann sein, dass es schnell geht, kann aber auch sein, dass ihr eine Weile warten müsst. Spätestens nach einem Tag werden die G’ombe wieder nach euch sehen. Mit ein bisschen Glück seid ihr dann schon auf der anderen Seite.«
»Und du?«
»Ich werde ein Boot nehmen. K’baa wird mich begleiten. Der Anblick von Affen ist in Kitara keine Seltenheit. Sie werden als Sklaven gehalten. Und was mich betrifft: Mit ein wenig Verkleidung, Körperfarbe und schauspielerischem Talent komme ich vielleicht nahe genug heran, um sie zu täuschen. Wenn alles gutgeht, werde ich zum betreffenden Zeitpunkt zu euch stoßen. Wenn nicht …«, er senkte den Blick. »Wünscht mir einfach Glück.«
»Hm …«, seufzte Karl. »Sieh zu, dass du da heil wieder herauskommst.«
Mellie versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht. »Wir sehen uns dann am Portal«, sagte sie. »Und sei bitte pünktlich …«
»Ich werde es versuchen.« Der Ire hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, dann wandte er sich zum Gehen.
»Ray?«
»Ja?«
Sie schluckte. »Es tut mir leid, was ich in der Pyramide zu dir gesagt habe. Das war nicht nett. Entschuldige bitte.«
62
D er Thronsaal von Kitara war ein stufenförmig ansteigender Raum mit den Ausmaßen einer Kathedrale. Durch eine Reihe schmaler, schießschartenähnlicher Fenster sickerte schwaches Tageslicht herein. Der
Weitere Kostenlose Bücher