Korona
ungeheuren, langgezogenen Felsnische, in die vor längst vergangenen Zeiten riesige Wohngebilde eingefügt worden waren.
Die Stadt selbst war ein zyklopischer Wirrwarr aus quaderförmigen, gerundeten und spitzwinkeligen Blöcken, die in den unmöglichsten Anordnungen übereinandergestapelt waren. Stege und Brücken verbanden die einzelnen Gebäude miteinander, von denen einige sogar kopfüber unter der Decke hingen. Millionen Tonnen Fels und Gestein ragten seitlich von ihnen empor und wölbten sich über ihren Köpfen.
Es dauerte eine Weile, ehe sich Amy an den Anblick gewöhnt hatte. Der unerwartete Perspektivwechsel brachte ihr Gleichgewichtsorgan durcheinander.
Bis auf ein paar schießschartenähnliche Fenster wiesen die würfelförmigen Gebäude keinerlei Öffnungen auf, was der Stadt einen festungsartigen Charakter verlieh. An manchen Stellen waren hängende Gärten angelegt worden, doch die dort angepflanzten Bäume und Gewächse waren längst verdorrt. Einzig eine besonders widerstandsfähige Sorte Gras schien überlebt zu haben. Aus steinernen Ritzen und Fugen drang es ans Tageslicht und überzog die Straßen mit einem gelblichen Schimmer.
Während sie immer weiter in die Geisterstadt vordrangen, wurde Amy von stiller Ehrfurcht ergriffen. Es ließ sich nur erahnen, welch eine Pracht hier einst geherrscht haben musste, welch verschwenderischer Reichtum. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatten die Kitarer diesen prächtigen Bezirk aufgegeben. Jetzt waren hier nur noch Staub und eine alles verzehrende Stille. Die einzigen Laute stammten von kleinen, fliegenden Kreaturen, die zwischen den Blöcken umhersausten und hin und wieder klagende Rufe ausstießen.
Die unerträgliche Einsamkeit schnürte Amy die Kehle zu. Der fehlende Horizont und die verdrehte Perspektive taten ein Übriges. Was in Gottes Namen hatte Burke in dieser Gräberstadt verloren? Warum hatte man ihn hier untergebracht? Und was hatten die unheilvollen Worte Oyos zu bedeuten, er habe keine Freunde mehr? War dies der Ort, an den die Kitarer ihre Kranken und Toten brachten?
Wenige hundert Meter weiter kam der Zug zum Stillstand. Die Kaiserin hielt an und deutete auf einen kubischen Bau rechts von ihnen. Es war ein trutziges Bauwerk mit schmalen Fenstern und einem einzigen, verschlossenen Tor. Auf ein Handzeichen hin eilten sechs ihrer Gardistinnen zur Pforte und begannen, an einem steinernen Rad zu drehen.
Knirschend und rumpelnd wurde ein horizontaler Spalt in der massiven Steinplatte sichtbar. Sand und Staub rieselten aus der Türfüllung, während der Spalt so groß wurde, dass ein Mensch bequem hindurchpasste. Die Kaiserin winkte erneut mit der Hand und die Wachen hörten auf zu drehen. Schwitzend und keuchend hielten sie das Steinrad gepackt.
»Ihr müsst jetzt gehen«, sagte Oyo. »Die Wachen können die Tür nicht mehr lange offen halten. Schnell.«
Amy zog die Augenbrauen zusammen. »Was ist mit euch? Kommt ihr nicht mit?«
Oyo schüttelte den Kopf. »Ich warte hier. Für uns ist es verboten, die
Stummen Hallen
zu betreten. Dieses Privileg ist ausschließlich Wanderern vorbehalten.«
»In dieses dunkle Loch bringen mich keine zehn Pferde«, sagte Dan. »Was soll das sein, eine Grabkammer?«
»Ihr wolltet doch euren Freund sehen«, erwiderte Oyo. »Er ist dort. Er wartet auf euch.«
»Glaub ihm kein Wort«, zischte Dan. »Das ist eine Falle, das spüre ich mit jeder Faser meines Körpers.« Er wollte zurückgehen, doch die Speere der Leibgarde hinderten ihn.
»Also doch«, murmelte Amy. Sie richtete ihren Blick auf den Botschafter. »Sagt uns wenigstens, was wir dort finden werden.«
Der Dicke lächelte diabolisch. Er hob die Hand und gab den Wachen ein Zeichen. Ohne Gnade trieben sie die Gefangenen in die Öffnung.
Amy und Dan wichen vor den glänzenden Speerspitzen zurück. Aus dem Spalt drang ein kalter, muffiger Hauch. Der Geruch von Fäulnis und Verwesung schlug ihnen entgegen.
Immer weiter wurden sie von den Wachen in das Gebäude getrieben, so weit, bis das Halbdunkel sie umfing. Dann ging alles sehr schnell. Die Kriegerinnen traten den Rückzug an und gaben ihren Kolleginnen Zeichen, das Rad loszulassen. Donnernd und rumpelnd schloss sich die Pforte.
Sie saßen in der Falle.
65
E s war um die Mittagszeit herum, als Richard Mogabe das Geräusch zum ersten Mal hörte. Ein dumpfes Schnauben, das von jenseits der Kitandara-Schlucht kam. Holz knarrte, Seile spannten sich, dann wurde es wieder still.
Die
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