Korona
getrennt gewesen.
»Verrückt«, murmelte Ray.
K’baa kletterte durch die Luke wieder ins Freie und half Ray hinauf. Oben angelangt, blickte er vorsorglich in die Runde. Kein Schiff weit und breit. Trotzdem mussten sie vorsichtig sein. Sie drangen jetzt immer weiter in feindliches Gebiet vor. Er ging zu seinem Beutel, öffnete die Verschlüsse und förderte einen Topf mit einer dunklen, cremeartigen Masse zutage. Das Zeug stank bestialisch, aber der Geruch verflog nach einer Weile. Eigentlich war es eine Wundsalbe, doch Ray erkannte noch einen anderen Nutzen darin. Mit schnellen Bewegungen verrieb er die Substanz auf seiner Haut. Es brannte ein bisschen, dann färbte sich die Haut dunkel. Offenbar enthielt die Tinktur beizende Substanzen.
K’baa gab ein amüsiertes Schnaufen von sich.
»Ja, lach nur, mein zotteliger Freund«, sagte Ray. »Spätestens wenn wir der nächsten Patrouille begegnen, wirst du mir dankbar sein.« Noch einmal griff er in den Topf, diesmal etwas herzhafter. Er musste sich beeilen. Sie waren jetzt einige Stunden unterwegs. Es würde jetzt sicher nicht mehr lange dauern, bis sie den ersten feindlichen Schiffen begegneten.
64
D as kaiserliche Prachtschiff glitt wie ein fliegender Wal durch den Äther. Lang gestreckt und geschwungen maß es wohl einhundert Meter vom Bug bis zum Heck. Ein Teil davon entfiel auf die gewaltige Rückenflosse, die am Kiel begann und wie ein Hahnenkamm über die Deckaufbauten emporragte. Vier Stockwerke über dem Hauptdeck und mindestens ebenso viele darunter messend, war sie das größte Schiff, das Amy in dieser Welt zu sehen bekommen hatte. Eine prächtige Galeone, die selbst in ihrer Welt ihresgleichen gesucht hätte.
Tiefer und tiefer sank sie an der Flanke der Insel hinab, immer weiter den
Stummen Hallen
entgegen. Die bernsteinfarbene Sonne hing wie eine goldene Münze am Scheitelpunkt des Firmaments. Mit fassungslosem Staunen blickte Amy auf die Milliarden Tonnen aus Fels, Stein und Geröll, die an ihnen vorüberzogen. Welche Kräfte waren hier am Werk, die all das in der Schwebe hielten? Welche Naturgesetze herrschten hier?
Das Schiff steuerte der Unterseite entgegen, wobei es sich langsam um die eigene Achse drehte. Am Scheitelpunkt der Insel kam eine Reihe von Gebäuden in Sicht. Festungsartige Konstruktionen, die in eine primitive Anlegestelle mündeten. Ein riesiges Tor beherrschte die Szenerie. Rechts und links waren Wachtürme zu sehen, die aber unbesetzt schienen.
Das Schiff wurde langsamer, schwebte sanft in Richtung Hafen und legte dann mit einem sanften Ruck an dem verwaisten Pier an. Seile surrten, Segel flatterten und Steine knirschten, dann brach an Bord der Galeone hektische Aktivität aus. Sklaven legten eine Planke aus, über die ein Trupp von Wachen auf das andere Ufer eilte. Rufe hallten von den mächtigen Felswänden wider. Es dauerte eine Weile, bis das mächtige Schiff gesichert war. Hier unten wehte ein heftiger Wind, und der riesige Bootskörper ließ sich nur ungern an die Leine legen.
Etwa fünf Minuten später waren sie bereit zum Aufbruch. Auf ein Signal der obersten Leibgardistin verließen die Kaiserin und ihr übergewichtiger Sohn das Schiff, überquerten die Planke und schritten auf das Tor zu, das noch immer geschlossen war.
»Es wird Zeit«, sagte Oyo. »Folgen wir den anderen.«
Er trat auf den hölzernen Steg. Amy und Dan folgten ihm.
»Hast du die Wachen bemerkt?« Der Geologe deutete mit einem Kopfnicken in Richtung der sechs schwer bewaffneten Gardistinnen, die hinter ihnen das Schiff verließen. »Die sehen nicht aus, als wären sie zu unserem Schutz hier. Auf mich machen die den Eindruck, als wollten sie verhindern, dass wir uns aus dem Staub machen.«
»Das Gefühl habe ich auch«, antwortete die Biologin mit düsterer Miene. »Aber wohin sollen wir schon groß abhauen? Das Ganze sieht aus wie ein riesengroßes Gefängnis.«
»Meinst du, sie haben Will hier unten eingesperrt?«
Amy zuckte die Schultern. »Ich bin weit davon entfernt, irgendetwas anzunehmen oder zu vermuten. Für mich ist das alles ein einziger Alptraum.«
Die Kaiserin hatte das Tor erreicht, das von zwei Wachen mit ohrenbetäubendem Quietschen geöffnet wurde. Helles Tageslicht strömte ihnen entgegen. Amy war zu verblüfft, um etwas sagen zu können. Sie war davon ausgegangen, die
Stummen Hallen
befänden sich in einer Art Höhlensystem, doch wie es aussah, war das ein Irrtum. Die
Stummen Hallen
erstreckten sich entlang einer
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