Korona
es oder stirb«, zischte die Kaiserin. »Das ist die letzte Chance, dich von deiner Schuld reinzuwaschen.«
Welche Schuld?,
wollte er fragen, doch er schwieg und senkte den Kopf. »Ja, Herrin.«
Die Herrscherin gab ein Zeichen. Die Wachen entfernten den schweren, schmiedeeisernen Riegel von der Laderaumtür. Ein übelriechender Dunst schlug ihm aus den dunklen Tiefen des Frachtraums entgegen. Mit vorsichtigen Schritten trat er näher und spähte in die Düsternis. Rechts von ihm führte ein schmaler hölzerner Steg in die Tiefe. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und betrat die verschmutzten Planken. Das Holz triefte vor Feuchtigkeit. Allenthalben breiteten sich Moose, Flechten und halb verfaulte Pflanzenreste aus. Oyo streckte seine Hand aus, packte das Geländer und trat ein Stück in die Dunkelheit. Dann drehte er sich noch einmal um.
»Kann ich wenigstens eine Fackel haben?«
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A my spürte, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Ihre Verschleppung, die
Stummen Hallen
, ihre Rettung … es war einfach zu viel. Sie hatte die Nacht zuvor kaum geschlafen und das kleine Nickerchen vorhin an Bord hatte kaum Linderung gebracht. Doch Ray trieb sie unerbittlich an, ohne Pause, ohne Stärkung, ohne Rücksicht. »Vorwärts, vorwärts!«
Halb laufend, halb gehend, schlitterten sie durch den Wald nahe der Pyramide. Ihre Muskeln fühlten sich an, als hätte man sie aufs Rad geflochten. Jeder Knochen tat ihr weh. Einzig die Hoffnung auf Heimkehr trieb sie vorwärts.
Von allen war Ray der Einzige, der noch einen Funken Ausdauer besaß. Obwohl er mindestens so viel geleistet hatte wie sie, war ihm das kaum anzumerken.
Amy sandte einen furchterfüllten Blick nach oben. Die turmdicken Bäume ächzten und knarrten im Sturm. Das Wetterleuchten über ihren Köpfen war während der letzten Minuten ständig heftiger geworden. Das flackernde Stakkato elektrischer Entladungen überzog den Wald mit zuckender Helligkeit. Die Donnerschläge folgten so dicht aufeinander, dass es unmöglich war zu sagen, wo der eine endete und der andere begann. Ein markerschütterndes Dröhnen erfüllte die Luft. Dann setzte der Regen ein.
Erst ein diffuses Rauschen, dann mit jeder Sekunde heftiger strömten die Wassermassen vom Himmel. Die Tropfen verwandelten den ausgetrockneten Boden in eine schlüpfrige Piste aus Matsch und Blättern. Vorhänge aus grauem Regen durchdrangen die Zweige. Der Wald versank in einem ohrenbetäubenden Rauschen. Die Fackeln verloschen. Die Sicht sank auf unter zwanzig Meter. Im Schein der Blitze wirkte der Regen, als würde flüssiges Silber vom Himmel fallen.
Ray wischte über sein Gesicht. »Wo ist K’baa? Er sollte uns eigentlich den Weg zeigen.« Er hob die Hände an den Mund und rief nach dem Affen. Keine Antwort.
Plötzlich hörte Amy ein Knacken, dann sah sie einen braunen Schatten durchs Unterholz huschen. K’baas massiger Körper tauchte neben ihnen auf. Sein Fell dampfte und sein Atem ging stoßweise. Mit einer knappen Bewegung deutete er nach rechts, dann verschwand er wieder.
»Ist nicht mehr weit, Leute«, sagte Ray. »Die Stadtmauern beginnen gleich da vorn, dann haben wir es geschafft.«
Etwa fünf Minuten später stießen sie auf die Überreste der ersten Umgrenzung. Trotz des strömenden Regens erkannte Amy die mächtigen Brocken, die wie kariöse Backenzähne in die Nacht ragten.
Sie hatten die Senke erreicht, in deren Mitte sich schwarz und abweisend die Pyramide erhob. In den Wolken brodelte und rumorte es. Von einem Portal oder irgendwelchen Leuchterscheinungen keine Spur.
»Hoffentlich haben wir uns nicht geirrt«, murmelte sie leise. »Hoffentlich war das alles nicht umsonst.«
»Nur nicht den Mut verlieren«, sagte Ray. »Wir sind so weit gekommen, jetzt werden wir den Rest auch noch schaffen. Vertrau mir.«
Amy sah ihn an. Sein Gesicht sagte ihr, dass er selbst Zweifel hatte. Sie drückte seine Hand.
»Lass uns in die Pyramide gehen«, sagte er. »Dort ist es wenigstens trocken.«
Die letzten Meter waren die beschwerlichsten. Amys Kleidung triefte vor Nässe. Der Stoff klebte am Körper und in ihren Schuhen schwappte das Wasser. Vor ihnen ragte das Tor in der Dunkelheit auf. Sie erinnerte sich, wie sie es zum ersten Mal betreten hatten. Verglichen mit damals wirkte es heute geradezu einladend.
»Mann, bin ich froh, endlich ins Trockene zu kommen«, schnaufte Karl. Er humpelte und hielt die Hand auf seine Verletzung gepresst. »Einen solchen Regen habe ich mein Lebtag noch nicht
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