Korrupt (German Edition)
ebenso berechtigt waren, an ihrem Leben teilzuhaben, wie er. «Verstehst du?», wollte er sagen. «Ich bin nicht mehr wert als die anderen. Ich bin deines Vertrauens nicht würdig. Ich bin deiner Zeit, deiner Träume und deiner Zukunft nicht würdig.»
Stattdessen schwieg er, ging ins Wohnzimmer und legte sich aufs Sofa. Als Annie das Badezimmer verließ, schlief er bereits.
Als sie im Bett lag, überkamen sie Reuegefühle. Sie hatte nicht logisch gedacht. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie etwas verwirrt. Jedenfalls konnte sie ihre Gefühle nicht in die richtigen Worte fassen. Eigentlich müsste sie ihn wecken, sich bei ihm entschuldigen und ihn bitten, ihr zu erzählen, was ihn beschäftigte, und ihm erklären, wie mulmig ihr war angesichts der Welt, in der sie lebten. Dass sie gezwungen sein würden, für das Leben zu kämpfen, das sie sich wünschten. Dass sie sich vielleicht an ihrem Arbeitsplatz so unbeliebt gemacht hatte, dass sie mit einer Kündigung rechnen musste, und dann ihr einziges festes Einkommen pünktlich zu Leonards Geburt verschwinden würde. Dass sie das Gefühl hatte, dass alle Ungerechtigkeiten, die ihr jemals widerfahren waren, sie einholten. Dass sie mit der Welt abrechnen wollte. Das wollte sie ihm sagen. Vielleicht würde er sie ja verstehen und ihr irgendwie helfen können. Aber dann behielt sie doch alles für sich.
Ein Plädoyer für die Offenheit von Annie Lander
In Stockholm gibt es einen Club, in dem sich schon immer die mächtigen Männer getroffen haben, und auch zweihundert Jahre nach seiner Gründung werden keine Frauen aufgenommen. Es ist unumstritten, dass informelle Netzwerke Beschlüsse in Politik und Wirtschaft entscheidend beeinflussen. Naheliegend ist, dass zu dieser informellen Macht nur Männer Zutritt haben.
«Die Jungs mögen natürlich Frauen, finden es aber sehr angenehm, dass ihnen das Posieren und Flirten erspart bleibt.»
Diese Antwort erhielt ich von einem der Männer auf die Frage, warum Frauen nicht zugelassen seien. Wie auch andere will er anonym bleiben und hat dafür seine guten Gründe. Wer sich außerhalb des innersten Kreises über den Club äußert, läuft Gefahr, ausgeschlossen zu werden. Zum innersten Kreis zählen durchaus bekannte Namen. Minister, mehrere Staatssekretäre, Richter und sehr viele andere Juristen sind Mitglieder. Erstaunlich? Nein, erstaunlicher ist eher, dass niemand reagiert. Was wäre, wenn ein Minister, ein Richter oder ein Mitglied des Parlaments als Mitglied einer Vereinigung enthüllt würde, die keine Juden oder Homosexuelle aufnimmt! Die Proteste würden nicht ausbleiben. Interessant ist auch, welche Art von Gesinnung ein solcher Club schafft, das Frauenbild, das dort und an ähnlichen Orten gepflegt wird und das in seinem Extrem dazu führt, dass man Prostituierte behandelt, als seien sie keine vollwertigen Menschen. Ihr Leben ist weniger wert als das anderer Menschen. Vielleicht ist es auch gar nichts wert.
Der Club gehört einem Netzwerk ähnlicher Vereinigungen an. Im Laufe des letzten Jahrzehnts wurden vier Prostituierte in Stockholm ermordet. Mindestens zwei von ihnen haben an Festen teilgenommen, die das Netzwerk veranstaltet und Prostituierte als Kellnerinnen beschäftigt hat. Mit größter Wahrscheinlichkeit dokumentiert der Club seine Zusammenkünfte in Form datierter Teilnehmerlisten. Es wäre interessant, die Aufzeichnungen des Clubs mit den Polizeiakten über die Prostituierten abzugleichen. Dies muss veranlasst werden. Der Umstand, dass etliche Mitglieder des Clubs Rechtsanwälte und Richter sind, deren Aufgabe darin besteht, jeden Tag diese Art von Verbindungen zu untersuchen, stellt ein Hindernis dar.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich die betroffenen Frauen an die Polizei wenden – einige der Männer haben sich als Polizisten ausgewiesen und durchschimmern lassen, dass sie ihre Arbeit gratis zu verrichten haben, wenn sie eine Anzeige bei der entsprechenden Behörde vermeiden wollen.
Geheimbünde wie der Club begünstigen als Gesetzgeber, als Staatsanwälte und als Richter eine zwielichtige Industrie. Sie tragen die Schuld daran, dass Frauen den Tod finden. Reine Spekulation? Schon möglich. Aber der Mangel an Einblick lässt keine anderen Deutungen zu. Wie wäre es mit etwas Offenheit?
7
Max lag, in eine Decke gehüllt, in einer Stellung, die nur auszuhalten war, wenn der Schlaf an Bewusstlosigkeit grenzte. Er hatte sein Gesicht im Kissen vergraben und lag auf einem Arm, ein Bein
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