Korrupt (German Edition)
Die zuständige Vertretung des Journalistenverbands ist informiert, ihr werdet einiges zu besprechen haben. Du weißt, wo ihr Büro ist, falls du dort vorbeischauen möchtest. Ich habe auch mit Hans-Christer Bergström telefoniert. Ich habe nicht die Absicht, seine Worte zu wiederholen, aber zusammenfassend meint er, dass er so etwas in seiner gesamten Karriere noch nicht erlebt hat. Von dir hätte er so etwas am allerwenigsten erwartet. In dieser Frage, muss ich sagen, gingen unsere Erwartungen allerdings auseinander.» Er setzte seine Lesebrille auf und reichte Annie ein Papier, das sie in Empfang nahm, ohne es anzuschauen. «Pack deine Sachen zusammen und verlasse unverzüglich das Haus. Es sei denn, du hast wider Erwarten etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen.»
Wortlos trat sie aus dem Büro.
Auf Annies Schreibtisch klebte eine Haftnotiz am Telefon, die sich noch nicht dort befunden hatte, als sie sich in von Konows Büro begeben hatte. Offenbar hatte sie während der Besprechung, die ihr nicht länger als sechzig Sekunden erschienen war, einen wichtigen Anruf verpasst. Es wurde um unverzüglichen Rückruf gebeten. Die Vorwahl lautete 0157 , das war in Sörmland. Carl von Konow ging vorbei und warf ihr einen mürrischen Blick zu. Um ihm zu zeigen, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern ließ, griff sie betont langsam zum Hörer und wählte die Nummer auf dem Zettel. Nach dem zweiten Freizeichen hatte sie einen Mann am Apparat.
«Hallo?», sagte die Stimme.
«Mit wem spreche ich bitte?», fragte Annie.
«Mit wem spreche
ich
?»
«Hier ist Annie Lander. Ich sollte diese Nummer anrufen.»
«Richtig, ausgezeichnet, vielen Dank, dass Sie zurückrufen.» Die Stimme klang wie die eines alten Mannes.
«Worum geht es?»
«Ich glaube, ich habe eine Information, die Sie interessieren könnte.» Er räusperte sich, und sie presste den Hörer ans Ohr.
«Ich habe Ihren Artikel in der Zeitung gelesen.»
«Und?»
«Ich habe lange Jahre als Journalist gearbeitet. In Flen. Jetzt bin ich Rentner. Ich habe nie in einer so großen Redaktion gearbeitet wie Sie.»
«Wie war noch gleich Ihr Name?»
«Den habe ich gar nicht genannt.» Er räusperte sich erneut. «Ich heiße Sture Hult.»
«Und was wollen Sie mir erzählen, Herr Hult?»
«Auch ich habe mich mit brutalem Missbrauch von Frauen und mit Tätern beschäftigt, die nie verurteilt wurden, obwohl sie Mörder waren. Und das aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft.»
«Entschuldigen Sie bitte, falls das herablassend klingt: Wenn Sie so etwas vermuten und auch beweisen können, warum gehen Sie dann nicht zur Polizei?»
Er schnaubte, und Annie wusste nicht genau, ob er nieste oder seine Verachtung zum Ausdruck brachte. «Die wollen sich solche Geschichten nicht anhören. Am allerwenigsten von einem Provinzjournalisten, der auf eigene Faust Nachforschungen angestellt hat. Ich denke, Sie wissen genau, was ich meine.»
«Und was veranlasst Sie, zu glauben, dass ich Ihnen zuhören werde?»
Seine Stimme klang plötzlich beharrlicher: «Weil ich Ihre Mutter kannte und weiß, dass sie sich angehört hätte, was ich zu sagen habe.»
Annie verlor auf ihrem Stuhl kurz das Gleichgewicht und trat gegen den Schreibtisch. Der Telefonhörer glitt ihr aus der Hand, und als sie ihn am Kabel anhob, sah sie, dass sie den Kaffee verschüttet hatte, den sie sich nach der Besprechung geholt hatte. Sture Hult war noch am Apparat.
«Meine Mutter?»
«Sie sind Annie, Karins Tochter, Karin Åkessons Tochter. Nicht wahr?»
«Ja.»
«Sie waren drei oder vier Jahre alt, als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, aber ich habe Sie an Ihren Augen sofort wiedererkannt, als ich Ihr Foto unter dem Zeitungsartikel gesehen habe. Sie waren das Mädchen, das zurückblieb. Es war eine Tragödie. Vielleicht sind Sie mir deswegen im Gedächtnis geblieben.»
«Entschuldigen Sie mein anfängliches Misstrauen.» Sie hatte einen trockenen Mund. «Wo sind Sie meiner Mutter begegnet?»
«Ich habe sie kennengelernt, als sie nach Flen zog. Das war Ende der Fünfziger. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist, aber vorher wohnte sie in Västerås. Jedenfalls glaube ich, dass sie ursprünglich von dort stammte.»
«Und wie haben Sie sie kennengelernt?»
«Wie gesagt, ich war Journalist. Bei der Lokalzeitung
Folket
in Flen. Eine meiner Aufgaben war es, die Einwohner zu interviewen. So haben wir uns kennengelernt. Sie war nach Flen gezogen, und ich habe ein Porträt geschrieben. Fotos habe
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