Korrupt (German Edition)
würde ihn nur nervös machen.
Max kannte Patrik seit der siebten Klasse, er war sein bester Freund. Eigentlich verband sie nichts, außer ihre Liebe zur Musik, zum Liverpool FC und zueinander. Mit Patrik hatte er Pläne geschmiedet, sie hatten sich aneinander gemessen, gemeinsame Träume gehabt und vieles ausprobiert. Sie hatten mit Leichtbier um die Wette getrunken. Max hatte gewonnen. Sie hatten darüber geredet, wie es sein würde, mit Mädchen zu schlafen, und darum gewettet, wer der Erste sein würde. Patrik hatte gewonnen. Sie hatten Hemingway gelesen und darum gewettet, wer es riskieren würde, in Pamplona mit den Stieren durch die Straßen zu laufen. Max hatte gewonnen, obwohl Annie fand, dass diese Waghalsigkeit eher etwas für Verlierer war. Sie hatten davon geträumt, vor ihrem dreißigsten Geburtstag Millionäre zu werden. Das hatten sie beide nicht geschafft. Patrik lag allerdings in Führung.
Lisa öffnete die Tür. Max warf einen Blick über ihre Schulter, noch ehe sie sich begrüßten. Am großen Wohnzimmertisch saßen zahlreiche Gäste, und die Wärme von drinnen schlug Max entgegen. Alle waren aufgetakelt, ihre Gesichter waren gerötet. Alle waren da, außer ihm. Und Annie.
Er schwieg.
«Wir veranstalten ein kleines Goûter», sagte Lisa.
«Ein was?»
«Einen afternoon tea. Nachmittagstee kann man wohl sagen.» Sie lächelte. «Allerdings mit Champagner. Dazu Scones.»
Ein Nachmittagstee mit allen, die ich hasse, dachte er. Er entdeckte Erik. Er hasste ihn. Sein Blick fiel auf Anneli. Er hasste sie. Menschen, die Patrik und er vor ein paar Jahren noch gemeinsam gehasst hatten. Herzlose Streber mit albernen Frisuren, die jetzt in Patriks Wohnzimmer beim Nachmittagstee saßen. «Lern mit solchen Situationen umzugehen», pflegte Annie zu sagen. «Ich verstehe nicht, warum du nicht einfach akzeptieren kannst, dass du sie nicht magst, und dich trotzdem anständig benimmst.» Sie begriff einfach nicht, dass er sich ihnen unterlegen fühlte und sie wegen ihrer Fragen hasste. «Spielst du immer noch Gitarre?», fragte ihn jemand und machte eine entsprechende Geste. «Wie sieht es mit Stipendien aus?», fragte ein anderer. Die beiden tauschten einen Blick, und diesen Blick spürte er wie ein kaltes Rasiermesser.
«Verdammt, Max, hätten wir gewusst, dass du nichts anderes vorhast», meinte Patrik, als er in die Diele trat. Er war beschwipst. Seine sonst so beherrschten Züge wirkten, wie immer nach ein paar Gläsern, aufgelöst.
Max schwieg. Er öffnete den Mund, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken, und er schaute zu Boden.
«Max», rief jemand aus dem Wohnzimmer. Erik. Rot im Gesicht. Fett und mit glänzender Haut wie ein Metzger. Max lächelte und winkte übertrieben. «Komm schon rein», krakeelte Erik. Max sah Lisa an, Lisa schielte zu Patrik hinüber. Beide erröteten. «Wo ist deine Frau?», rief Erik.
Patrik fragte: «Max, wo ist Annie?» Seine Stimme klang nüchterner, als hätte er unbewusst den Ernst der Lage erfasst.
Max brachte kein Wort heraus. Alle verstummten und sahen ihn an. Die, die mit dem Rücken zu ihm saßen, drehten sich um. Er wollte etwas Schlaues sagen, ein paar Worte nur, nach denen er hocherhobenen Hauptes wieder gehen konnte. Etwas, das Annies Verschwinden auf seine kleine Welt begrenzte und verhinderte, dass es Wirklichkeit wurde. Damit er weiterhin so tun konnte, als sei nichts. Er holte Luft und wollte etwas fragen. Stattdessen warf er sich schluchzend in Patriks Arme. Zuletzt hatte er so geweint, als sein Vater gestorben war.
Freunde und Ratgeber
1
So viel Besuch hatte er nicht mehr gehabt, seit Annie zu seinem Dreißigsten ein Fest organisiert hatte. Patrik und Lisa mit Kind, seine Mutter, Lena und Ulla waren da. Die Einzige, die fehlte, war Annie. Und Mingus.
Max lag im Bett und sollte schlafen, die anderen saßen im Wohnzimmer. Lisa war Ärztin und hatte ihm Beruhigungstabletten mitgebracht. Sie wollte sich um alles kümmern, ans Telefon gehen, die Straßen absuchen und in Läden fragen, ob jemand etwas gesehen hatte. Er hörte ihre leisen Stimmen. Er hörte, wie sie sich unterhielten, aber nicht, was sie sagten. Es war das gleiche Geflüster wie bei der Beerdigung seines Vaters. Man wollte reden, aber nicht zu laut, damit die Besorgnis nicht bis an Max’ Ohren drang. Seine Mutter saß im Wohnzimmer, wahrscheinlich mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Er fragte sich, ob sie die Stimmung wohl genauso empfand wie er.
Patrik hatte ihn am Vorabend
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