Korrupt (German Edition)
öffnete den obersten Hemdknopf. Er hätte den Whisky nicht trinken sollen. Vielleicht hätte er gar nicht herkommen sollen. Er wusste es nicht. Vielleicht war alles ein Fehler gewesen, und es wäre das Beste, wieder ins Auto zu steigen und zu verschwinden. Er lehnte den Kopf zurück und war plötzlich furchtbar müde. In seinen Waden kribbelte es. Er wollte aufstehen, verlor aber das Gleichgewicht und versuchte, sich am Tisch abzustützen, aber seine Arme hatten jegliche Kraft verloren und fühlten sich an wie Gummi.
Göran trat wieder ein und nahm ihm gegenüber auf dem Sofa Platz. Max hob den Kopf und versuchte seinem Blick zu begegnen. Göran nippte an seinem Whisky und betrachtete Max mit einem Lächeln, das er nicht deuten konnte. Max wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war.
«Ich muss zugeben, Max», begann Göran und schlug die Beine übereinander, «dass ich Ihnen gegenüber nicht ganz ehrlich war. Ich muss Ihnen», er zählte schweigend an den Fingern ab, «drei Geständnisse machen.» Max musste sich anstrengen, um halbwegs aufrecht sitzen zu bleiben. «Nummer eins: Ich habe natürlich von der verschwundenen Journalistin Annie Lander gehört. Nummer zwei: Ich habe Ihnen etwas in Ihren Whisky gemischt, und Sie werden gleich einschlafen und eine ganze Weile nicht aufwachen. Ich habe die Mischung allerdings noch nie ausprobiert und musste etwas improvisieren. Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet, am allerwenigsten mit dem Ihren. Und abschließend», sagte er in dem Augenblick, als Max das Gleichgewicht verlor, zu Boden fiel und den staubigen Teppich im Gesicht spürte: «Johan Droth ist seit dreißig Jahren nicht mehr hier gewesen.»
3
Am ersten Tag hatte Ranko allein im Auto vor Max’ Wohnung gesessen, sich den Allerwertesten abgefroren und Kaffee getrunken. Am zweiten Tag hatte er Djordje dazu gezwungen, ihm Gesellschaft zu leisten, dann Avram. In der Gosse unter der Seitenscheibe lagen Hunderte von Kippen.
Jetzt froren sie sich im Wald den Arsch ab.
Der Typ war im Haus.
«Wir warten noch eine Weile», meinte Avram. «Dann rufen wir den Anwalt an.»
«Wie wär’s mit einem Kartenspielchen?», fragte Djordje vom Rücksitz.
«Kein Licht, du Idiot», antwortete Ranko und sah ihn im Rückspiegel an.
Ranko öffnete den Aschenbecher und schloss ihn wieder. Er trommelte auf das Lenkrad. Er erzählte von dem Mädchen, mit dem er ausgegangen war, ehe er Belgrad verlassen hatte. Sie sprachen über das, was in ihrer Heimat geschah, und ließen das Haus nicht aus den Augen. Sie sahen nichts.
Als sie eine Dreiviertelstunde gewartet hatten, wählte Ranko Henrik Olssons Nummer.
4
Munkenberg hatte so lange am Schreibtisch gesessen und auf Akten gestarrt, dass ihm die Augen brannten. Vor genau einer Woche war Annie Lander verschwunden. Er hatte an eine einfache Lösung geglaubt: den Ehemann. Aber der verfügte, wie sich herausstellte, über ein Alibi. Die Nachbarschaftsbefragung hatte ergeben, dass Max sehr laut Musik gehört hatte und von einem Nachbarn zur Rede gestellt worden war. Als Annie Lander die Bibliothek verlassen hatte, war Max Lander also zu Hause gewesen und hatte so laut Jazz gehört, dass es im ganzen Viertel zu hören gewesen war. Kein Schwein wusste, wohin sie gegangen war. Sie hatte die Bibliothek verlassen und sich in Luft aufgelöst. Munkenberg war von dem Ergebnis seiner Nachforschungen enttäuscht. Er bereute es, den Fall übernommen zu haben.
Um vier Uhr bekam er Bauchschmerzen und musste eilends die Toilette aufsuchen, denn seine Eingeweide feuerten für gewöhnlich ihre Ladung schneller ab, als ein Cowboy den Revolver ziehen konnte. Da geschah es. Als er später im Auto saß, stellte er fest, dass er zwar kein einzigartiges Gespür, aber einen einzigartigen Magen besaß. Jedes Mal, wenn er die Toilette aufsuchte, gab es einen Durchbruch. Seine Eingeweide stellten eine Art Seismograph dar. Er wollte gerade die Toilettentür verriegeln, als ein Kollege seinen Namen rief. Verdammt, schoss es ihm durch den Kopf.
«Eine Frau will mit dir reden», sagte der Kollege. «Sie ruft wegen des Anschlags in den Treppenhäusern an.»
Munkenberg eilte in sein Büro zurück und nahm das Gespräch entgegen. Zwanzig Minuten später saß er bei Eleanor Olsson auf der Couch, weitere zwanzig Minuten später saß er wieder in seinem Auto und musste einen Beschluss fassen.
Eleanor Olsson war 73 Jahre alt und verwitwet. Ihr Mann war drei Jahre zuvor an Lungenkrebs gestorben, und nach den gelben
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