Korrupt (German Edition)
war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Als er mit Martin allein im Wagen saß, bat er ihn herauszufinden, was sie vor dem Club zu suchen gehabt hatte. Die Antwort hatte seine Laune nicht gehoben.
Nicht zum ersten Mal versuchte jemand, unbequeme Dinge über die Familie herauszufinden. Dieses Mal bestand der Unterschied darin, dass es sich um seine eigene Tochter handelte.
Johan Droths Vorleben holte ihn rasch ein, und er versuchte ebenso rasch, sich eine Zukunft zu sichern. Er wollte in den Süden reisen. Falls es ein Meeting gab, das man als das wichtigste seines Lebens bezeichnen konnte, dann befand er sich vermutlich gerade auf dem Weg dorthin.
Blut und Geheimnisse
1
Vitomir riss ein Streichholz an und zündete sich die erste Zigarette der zweiten Schachtel des Tages an. Es war vier Uhr. Der Barkeeper hatte ihm ein kaltes Bier und eine Flasche Mineralwasser gebracht. Vitomir fing mit dem Bier an. Er hatte nicht zu Mittag gegessen. Er beugte sich über den Tisch und barg sein Gesicht in den Händen. Er hatte nur schlecht geschlafen. Das war immer so, wenn eine Lieferung kam, und jedes Mal hoffte er, dass es anders sein würde. Sein Puls war derselbe: Wenn er in einer Lagerhalle zuschaute, wie abgeladen wurde, und wenn er sich die Zähne putzte. Trotzdem. Er war müde. Er trank einen Schluck Bier und zündete sich die nächste Zigarette an. Das ist dieses verdammte Land, dachte er. Fast rund um die Uhr ist es dunkel. Noch ein paar Lieferungen, dann wollte er verreisen. Sonne und Strand. Vielleicht Thailand. Da fuhr man hin, hatte er sich sagen lassen. Oder Südafrika. In Schweden wollte er jedenfalls nicht bleiben. Er hatte Verwandte in den USA , vielleicht war das eine Idee.
«Vito, Telefon!» Der Barkeeper hielt einen Hörer in die Höhe. «Ranko.»
Vito erhob sich und spürte, dass ihn ein leichter Schwindel erfasste. Nach dem nächsten Bier würde es ihm bessergehen. «Gib mir noch ein Bier», sagte er, als er sich den Hörer über den Tresen reichen ließ.
«Ranko, was ist los?»
«Der Typ ist an die frische Luft.»
«Wohin?»
«Er hat mit einem alten Mann in der Folkungagatan Kaffee getrunken. Jetzt sitzt er in seinem Auto.»
«Was für ein alter Mann?»
«Weiß nicht. Ein alter Mann eben.»
«Und wo ist er jetzt?»
«In der Hornsgatan. Offenbar ist er Richtung Süden unterwegs.»
«Hast du Henrik angerufen?»
«Der geht nicht dran.»
«Probier’s noch mal. Verfolge ihn, bis er irgendwo anhält, und versuch es dann wieder.»
2
In jeder Kurve glitten die Scheinwerfer über die Baumstämme an der schmalen Landstraße, und jedes Mal hatte Max das Gefühl, beobachtet zu werden. Der Wind rauschte. Seine Hände waren feucht, und er umklammerte das Lenkrad. Er konzentrierte sich auf das Licht in der Mitte der Straße und versuchte, die Dunkelheit zu ignorieren.
An einer Tankstelle machte er halt. Außer dem Tankwart war niemand dort. Max stieg aus und sah sich um. Die Welt sah aus wie immer. Es roch wie in kleinen Orten mit einer Tankstelle und einer Imbissbude. Die vollkommene Stille machte ihm Angst.
Der Mann war hilfsbereit und zeigte Max auf dessen Landkarte, wie er in wenigen Minuten Töversta erreichte. Dann wollte er wissen, warum es Max in diese abgelegene Gegend verschlagen hatte. Max antwortete, dass er einen Bekannten besuchen wollte.
Von der Landstraße zweigte ein Fahrweg ab, der in einen Privatweg mündete. Nun führten ein paar hundert Meter zum Gutshof Töversta. Max hielt auf der kiesbestreuten Auffahrt vor der Veranda, machte den Motor aus und blieb eine Weile sitzen. So dunkel war es in der Stadt nie. Einige hundert Meter unterhalb des Hauses ließ sich ein See erahnen. Zwischen Gutshaus und See stand ein kleineres Haus, in der Diele brannte Licht.
Max stützte das Kinn auf das Lenkrad. Er hatte immer noch die Möglichkeit, den Motor wieder anzulassen, zu wenden und die ganze Sache der Polizei zu überlassen. Falls Johan Droth aufmachte, würde Max wahrscheinlich einem Mörder gegenüberstehen. Er musste gelassen bleiben. Wachsam. Ohne Zögern. Zur Tat bereit. Wegen Annie. In Gedanken ging er noch mal seinen Auftritt durch. Er wollte anklopfen, nach Johan Droth fragen und sich, falls dieser vor ihm stand, nach seiner Tochter Annie erkundigen. Die folgenden Sekunden würden entscheidend sein, er musste eine neue Version von sich selbst finden. Den Mann, der er als Zwanzigjähriger gewesen war und der er damals hatte bleiben wollen. Einen, der die kommenden zehn
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