Korrupt (German Edition)
Tapeten zu urteilen, war er ein starker Raucher gewesen. Nach dem Tod des Gatten hatte sie sich einen Hund namens Ingvar zugelegt. Ein ungewöhnlicher Name für einen Hund, aber es handelte sich auch um einen ungewöhnlichen Hund. Eleanor Olsson war klein wie ein Vogeljunges, hatte dünnes, weißes Haar und große, graue Augen. Sie trug auch in der Wohnung Straßenschuhe und hinkte leicht. Als sie auf dem Sessel die Beine übereinanderschlug, dachte Munkenberg an seine Mutter. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte sie vielleicht auch einen Hund gekauft.
Eleanor Olsson ging mit ihrem Hund jeden Tag dieselbe Runde, von ihrem Haus in der Johannesgatan die David Bagaresgatan entlang und zurück. Jeden Tag pinkelte der Hund an den gleichen Orten. Ein ausreichend langer Spaziergang für eine alte Frau und ihren kleinen Hund, fand sie. Diese Woche war sie jedoch bettlägerig gewesen. Woran das lag, war schwer zu sagen. Sie hatte eine Schublade voller Tabletten, die sie täglich schluckte. Die Nachbarin war mit Ingvar spazieren gegangen, und das hatte weder der Nachbarin noch dem Hund gefallen. Eleanor hatte Zeitung gelesen und Radio gehört, Fernsehen interessierte sie nicht. Wie auch immer, nun war sie endlich wieder auf den Beinen und hatte einen ersten Spaziergang mit ihrem Hund unternommen und dabei etwas gefunden. «Das hier», sagte sie und hielt Munkenberg ein kleines, schwarzes Buch unter die Nase. Sie hatte es sofort neugierig aufgeschlagen und dabei den Namen jener Journalistin entdeckt, von der sie in der Zeitung gelesen hatte und die auf dem Aushang im Treppenhaus erwähnt wurde.
«Ich bin zwar alt, aber immer noch klar im Kopf.»
Im Auto blätterte Munkenberg das Notizbuch durch. Es hatte auf einem Verteilerkasten in der David Bagaresgatan gelegen. Wenn Annie Lander es dort hingelegt und vergessen hatte, bewies das, dass sie von der Kungliga Biblioteket aus die David Bageresgatan hochgegangen war. Munkenberg hatte sich mit dem Clubbesitzer unterhalten, aber der hatte Annie schon seit längerem nicht mehr gesehen. Vielleicht war sie auch in die Malmskillnadsgatan gegangen. Aber dort hatte sie an diesem Freitag niemand gesehen. Vielleicht war sie ausgeraubt und entführt worden, und vielleicht hatte jemand ihre Sachen auf die Straße geworfen und jemand anders diese auf dem Verteilerkasten sortiert und die Wertgegenstände an sich genommen. Erst als Munkenberg die letzte Seite aufschlug, wusste er, dass er fündig geworden war. Mitten auf der Seite stand:
Samstag, den 17 . Oktober
Gutshof Töversta, Helgesta, Flen, JD jr.
Der Eintrag war von einer erregten Hand mehrfach unterstrichen worden. 17 . Oktober, dachte Munkenberg. Vor drei Tagen. Aber das war kein Samstag gewesen, sondern ein Dienstag. Der Samstag war der 14 . gewesen. Am Vortag war Annie Lander zuletzt gesehen worden. Er klopfte mit einem Finger aufs Lenkrad und versuchte sich zu konzentrieren. Wäre das Notizbuch einem gewöhnlichen Polizisten in die Hände geraten, hätte er es vermutlich mit der Feststellung, dass Annie Lander irgendwann am Freitag, dem 13 . Oktober, dem Tag ihres Verschwindens, von der Bibliothek aus die David Bagaresgatan hinaufgegangen war, zu den Ermittlungsakten gelegt. Aber Munkenberg war kein normaler Polizeibeamter. Er lehnte sich über den Beifahrersitz, zog eine Landkarte aus dem Seitenfach und breitete sie auf dem Lenkrad aus. Nach einer Weile hatte er Flen gefunden. Wo Helgesta lag, würde er in Flen schon erfahren. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz vor fünf. Wenn er jetzt nicht nach Flen fuhr, würde er nach einem kurzen Besuch bei seiner Mutter den ganzen Abend zu Hause sitzen, aber Flen lag nicht in seinem Zuständigkeitsbereich. Wenn er jedoch die dortige Polizei anrief, würde er nur den Bescheid erhalten, man würde sich nächste Woche darum kümmern, jetzt sei Freitagabend und alle wollten nur so schnell wie möglich nach Hause zu ihren Familien. Die Krabben wären bereits gepult und der Wein gekühlt. Aber was wäre, wenn Annie Landers letzte Notiz vor ihrem Verschwinden doch etwas zu bedeuten hatte? Dann war er der Held. Er legte die Landkarte auf den Beifahrersitz, ließ den Motor an und spürte, wie sein Adrenalinspiegel stieg. Er betrachtete den Notizbucheintrag. Annie Lander hatte vielleicht den Samstag nach ihrem Verschwinden gemeint. Oder den 17 ., den Dienstag drei Tage davor. Aus irgendeinem Grund hatte sie den falschen Wochentag erwischt. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Wenn er erst einmal
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