Korsar und Kavalier
beibringen können, dann, dass man selbst mit den schlimmsten Plagen im Leben zurechtkam, wenn man ihnen mit Geduld und Ausdauer begegnete.
Gewusst hatte er das zwar schon, doch irgendwie war es ihm in den Wochen und Monaten der Rekonvaleszenz wieder entfallen.
Er umrundete eine Ecke und hatte das Cottage vor sich, das robust und stabil den Windböen trotzte. Tristan zwang sich, die letzten Schritte zum Gartentor noch schneller zu gehen, und hielt die Geschwindigkeit, bis er außer Atem geriet.
Vielleicht wenn er stärker auftrat, die Muskeln in seinem Bein zwang, sich zusammenzuziehen und zu dehnen ... vielleicht würde es dann besser. Er biss die Zähne zusammen und zwang sich vorwärts. Nur das gleichmäßige Klopfen seines Stocks und der dumpfe Tritt seiner Stiefel zählten jetzt noch. Sonst nichts mehr.
Er würde das Gartentor erreichen.
Er würde nicht straucheln, was es ihn auch kostete.
Wie sehr es auch wehtat.
Nur bis zum Tor ...
Er schaffte es. Tristan packte die oberste Latte und stützte sich darauf, hob das brennende Bein an und senkte den Kopf. Der Schmerz überlief ihn in Wellen, doch er hieß ihn willkommen. Es hatte keinen Zweck, dagegen anzukämpfen. Stattdessen ließ er ihn durch sein Bein laufen, dem Kurs der Bleikugel folgend, die ihn beinah getötet hätte.
So war er immer gewesen - erst kämpfte er dagegen an, dann akzeptierte er es. Das Schicksal hatte ihm nie direkt im Nacken gesessen. Es verhöhnte ihn von Weitem, zeigte ihm, was er haben konnte, aber er bekam es nie. So war es bei seinem Vater gewesen, so war es mit seiner Verletzung, die ihn von der See losriss, und nun passierte es wieder mit Prudence.
Er wollte sie. Wollte sie in seinem Leben haben, auch nachdem die Sache mit den Treuhändern vorüber war. Doch es würde nie funktionieren. Sie war kultiviert, gebildet, stammte aus einer Welt, die er nur aus der Ferne kannte. Und doch sehnte er sich jeden Tag auf neue Art nach ihr. Er hatte von Anfang an recht gehabt: Eine Frau wie Prudence heiratete man - wenn man ebenfalls kultiviert und gebildet war und ihrer Welt entstammte.
Auf ihn traf das nicht zu. Dafür hatte sein Vater gesorgt.
Tristan legte eine Hand auf sein Bein und sah mit finsterer Miene darauf, im Herzen einen neuen und frischen Schmerz. Er war nicht einmal unversehrt. Wenn sein Leben anders verlaufen wäre, hätte er sie vielleicht versorgen können, ihr etwas anderes bieten können als einen Kapitän ohne See.
In Wahrheit hatte er ihr überhaupt nichts zu bieten. Konnte ihr nichts geben. Es sei denn, er erhielte das Vermögen.
Aber ... wäre das genug? Er dachte an ihr Gesicht, wenn sie von ihrem verstorbenen Ehemann sprach, Phillip. Sie hatte ihn geliebt, das war offensichtlich. Tristan biss die Zähne aufeinander. Wie sehr hatte sie Phillip geliebt, und vor allem: Liebte sie ihn noch?
Auf dem Pfad hinter ihm ertönte ein Knirschen. „Guten Morgen.“
Die warme Stimme wollte nicht zu dem eiskalten Wind passen, der die melodischen, sanften Töne wegzuwehen versuchte. Tristan drehte sich um und sah Prudence auf sich zukommen. Der Wind hatte einzelne Strähnen ihres dunklen Haars herausgezerrt und peitschte sie ihr nun ins Gesicht. Sie fing seinen Blick auf und hielt inne. Mit einer Hand lehnte sie sich gegen einen Baum, und tief in ihren Augen schlummerte ein unergründliches Gefühl.
War es Mitleid? Sein Magen begann zu brennen, verbrannte ihn, verbrannte seine Gedanken. „Sie sind früh dran“, sagte er. Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren barsch.
Sie hob die Brauen. Bei anderen Frauen hätte diese Geste fordernd gewirkt oder zumindest fragend. Doch an Prudence mit ihren schrägen Brauen wirkte es anders: Sie sah schelmisch aus, wenn sie so mit den Brauen zuckte.
Er schluckte seinen Ärger herunter. „Sie sollten bei dem Wetter nicht draußen sein. Es ist feucht.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist längst nicht mehr so kalt wie noch letzte Woche.“ Ihr Blick wanderte hinaus aufs Meer. „Es ist wunderschön von hier oben aus. “
„Ja, das ist es.“ Er sah hinauf in den grauen Himmel und runzelte die Stirn. Weil die Sonne sich hinter Wolken versteckte, konnte er nicht erkennen, wie spät es war. „Ist es denn schon Zeit fürs Frühstück?“
„Reeves hat mich geschickt, nach Ihnen zu suchen.“ Tristan nahm den Stock fest in die Hand und ging auf sie zu, wobei er mit zusammengebissenen Zähnen gegen das Hinken ankämpfte. Als er an ihrer Seite war, blieb er stehen und bot
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