Korsar und Kavalier
Earl, und bald würde er auch noch ein Vermögen erlangen. Ein bald sehr vermögender Earl mit aufsehenerregenden grünen Augen und einem schiefen Lächeln, bei dem einem das Herz bis zum Hals schlagen konnte. Es ging nicht darum, wer vielleicht Interesse am Earl haben könnte, sondern eher darum, wer nicht.
Rasch ließ sie die Damen, die an der Dinnergesellschaft teilnehmen würden, vor ihrem inneren Auge vorüberziehen. Natürlich Mrs. Reed. Bisher hatte die junge Witwe eifrig Pfarrer Oglethorpe nachgestellt, obwohl der sich standhaft geweigert hatte, ihr Interesse zur Kenntnis zu nehmen.
Prudence war sich sicher, dass die widerwärtige Witwe nun, ohne zu zögern, Tristan ins Visier nehmen würde. Prudence rümpfte die Nase. Bedauerlich, dass die Gute so eingebildet war, sonst hätte sie gewusst, dass ihre Nase einige Nummern zu groß war.
Dann war da Miss Simpson, deren Vater der örtliche Friedensrichter war. Sie war zwar ein wirklich hübsches Mädchen, aber Prudence fand sie unerträglich anmaßend. Für so eine Frau konnte Tristan sich doch nicht interessieren, selbst wenn ihr Vater der reichste Mann weit und breit war.
Andere Namen von passenden Damen geisterten durch Prudences Gedanken. O verdammt. Verdammt. Verdammt. Mit mächtigem Stirnrunzeln goss sie sich noch ein Glas Sherry ein.
Reeves trat einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk von Kopf bis Fuß. „Mylord, Sie sehen wie ein Gentleman aus.“
Mit zusammengebissenen Zähnen ließ Tristan die Inspektion über sich ergehen. Er fühlte sich wie ein Schiff mit gebrochenem Ruder, das ziellos auf glatter See trieb, unbeständigen Winden und den Launen des Schicksals ausgeliefert.
Reeves nickte. „Sie sehen gut aus, Mylord. Sehr gut.“
„Ich will die rosa Weste nicht tragen.“
„Sie tragen sie doch schon“, erklärte Reeves ihm sanft. „Außerdem ist sie nicht rosa, sondern flohfarben.“
„Das macht es auch nicht besser.“ Tristan wandte sich um, um seinen Uhranhänger vom Tisch zu nehmen, als sein Blick zufällig auf sein Spiegelbild fiel. Groß und breitschultrig stand er da, das Haar sauber zurückgebunden, die Schultern vom schwarzen Frack noch betont. Die einzige Farbe in seinem Aufzug stammte von der flohfarbenen Weste und dem Rubin, der in seinem Krawattentuch funkelte.
Reeves stellte sich hinter ihn. „Sie sehen genauso aus wie er.“
Tristan ballte die Hände zu Fäusten. „Eine Ähnlichkeit, die mir beileibe nicht angenehm ist. “
„Vielleicht sollte es das aber. Ich finde es oft beklagenswert, dass wir uns nicht an dem Guten freuen, das manchmal aus dem Schlechten erwächst.“
Tristan fing Reeves’ Blick im Spiegel auf. „Noch beklagenswerter finde ich, wenn gar nichts Gutes zu finden ist.“ Reeves schürzte die Lippen. „Ich fürchte, hier muss ich Ihnen leider widersprechen, Mylord. Der alte Earl hat Ihnen den Titel und das Vermögen hinterlassen, obwohl ihm auch andere Möglichkeiten offen gestanden hätten. Er hätte einen anderen bedauerlichen Verwandten für legitim erklären und sein Erbe einem anderen vermachen können.“
„Sie haben recht, dafür sollte ich dankbar sein. Und das bin ich auch. Nur nicht ... ihm.“ Tristan sah wieder in den Spiegel, diesmal in seine eigenen grünen Augen. „Hat Christian immer noch nicht von sich hören lassen?“
„Nein, Mylord. Wir können nur hoffen, dass er seine Angelegenheiten regelt, damit er seine Position einnehmen kann, ohne ... “ Reeves biss sich auf die Lippen.
Tristan drehte sich zu dem Butler um. „Ohne was?“
„Es gibt Zeiten, da sollte man die Vergangenheit hinter sich lassen.“
„Was, zum Teufel, soll das heißen?“
„Das zu erklären, überlasse ich Master Christian.“ Tristan betrachtete den Butler frustriert. „Manchmal sprechen Sie wirklich in Rätseln.“
„Das hat man mir schon öfter mitgeteilt.“
„Ich habe es nicht als Kompliment gemeint.“
„So habe ich es auch nicht aufgefasst, Mylord.“ Der Butler seufzte. „Ich frage mich ... wie alt war Master Christian, als Sie ihn zum letzten Mal gesehen haben?“
„Wir waren beide zehn.“
„Das ist nun über zwanzig Jahre her. Möglicherweise hat er sich sehr verändert.“
„Ich würde ihn überall erkennen.“
„Bei gutem Licht und unter korrekten Umständen würde ich Ihnen zustimmen.“
„Was, zum Teufel, soll das bedeuten?“
„Nichts weiter. Nur ... es wäre ganz gut, wenn Sie sich darüber klar würden, dass es den Bruder, den Sie einmal kannten,
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