Korsar und Kavalier
Lümmel war auch noch unverheiratet. Tristan fühlte sich von Reeves hinters Licht geführt und versuchte nun die Situation zu akzeptieren, so gut es ging. Leider stellte sich bald heraus, dass das Schicksal gegen ihn war, vor allem als der attraktive junge Squire die Kühnheit besaß, praktisch in Prudences Dekollete zu tauchen, als Tristan ihr aus dem Mantel half.
Das war kein guter Anfang. Selbst wenn Tristan dem Mann aus maskuliner Sichtweise keinen Vorwurf machen konnte, hatte ihn diese Dreistigkeit trotzdem erbost. Zum Glück hatte der Squire Tristans warnenden Blick aufgefangen und sich hastig zurückgezogen, allerdings nicht, ohne Prudence noch ein paar bewundernde Seitenblicke zuzuwerfen. Tristan spielte mit dem Gedanken, den Kerl auf der Stelle nach draußen zu zerren und ihm zwei schöne Veilchen zu verpassen, doch es kam noch schlimmer.
Kaum hatte er Prudence durch eine, wie er meinte, Gas-se lüsterner Männer geführt, als ihnen Dr. Barrow den Weg verstellte. Der junge Arzt war offensichtlich überrascht von Prudences Aufzug und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, ihre kostbare Zeit ganz für sich allein zu beanspruchen. Der Doktor war eine ernstere Bedrohung als der Squire, da Tristan den Mann nicht abwimmeln konnte, sosehr er sich auch bemühte.
Nun, dann blieb er eben einfach neben ihr stehen und rührte sich nicht vom Fleck. Irgendwann musste der verdammte Narr ja einen von Tristans bösen Blicken auffangen. Verdammt, mit seinen bösen Blicken hatte er die Korsaren fast zu Tode geängstigt! Wie konnten sie einen simplen Landarzt vollkommen kaltlassen?
Allmählich fragte Tristan sich, ob der Arzt vielleicht kurzsichtig war. Möglicherweise sah der schwächliche Narr einfach nicht gut genug, um zu erkennen, dass er in ernsthafter Gefahr schwebte. Wenn das der Fall war, würde er wohl ein, zwei Worte verlieren müssen, um dem Schwachkopf den richtigen Weg zu zeigen. Doch wie sollte er das anfangen, ohne dass Prudence etwas mitbekam?
Die nächste Viertelstunde verbrachte er damit, sich einen Plan zurechtzulegen, und als schließlich verkündet wurde, dass das Dinner bereit sei, wusste er, was er zu tun hatte. Leider war ihm dabei für einen kurzen Moment entfallen, dass sich die Sitzordnung an der gesellschaftlichen Rangordnung orientierte. Und nach der stand ein Earl um einiges höher als eine einfache Witwe. Dies wiederum hatte zur Folge, dass er von einer pferdegesichtigen Frau eingefangen wurde, welche die Kühnheit besaß, Prudence dem Arzt praktisch in die Arme zu drängen, ehe sie Tristan aus dem Zimmer zerrte, die Finger in seinen Ellbogen gekrallt.
Diese Manöver gefielen Tristan überhaupt nicht. Kein Wunder, dass sich der Adel dauernd zu Duellen und was nicht allem herausforderte. Die Regeln der Gesellschaft waren barbarisch, gelinde ausgedrückt, vor allem wenn sie einen Mann dazu zwangen, am entferntesten Ende der Tafel zu sitzen und zuzusehen, wie sein Mädchen von einem Pack hungriger Wölfe umzingelt wurde.
Es war unerträglich. Jedes Mal, wenn Prudence lachte, war er zwischen Sehnsucht und Argwohn hin und her gerissen. Als die Männer sich in die Bibliothek verabschiedeten, um dem Portwein zuzusprechen, war Tristan so weit, dass er am liebsten Kehlen durchtrennt hätte. Zumindest hinderte ihn jetzt Prudences Nähe nicht mehr daran, das zu tun, was er von Anfang an hatte tun wollen.
Tristan trat zum Doktor. Dieser nichtswürdige Mensch stand am Kamin und nippte auf, wie Tristan fand, entsetzlich weibische Art an einem Brandyglas.
Der Doktor war tief in Gedanken und bemerkte nicht, dass Tristan sich näherte. Er beugte sich vor und rief dem Mann mit tönender Stimme ein „Doktor!“ ins Ohr.
Dr. Barrow zuckte zusammen, das Glas entglitt seinen Händen und zerschellte vor dem Kamin.
Tristan sah auf die Scherben und trat einen Schritt zur Seite, als ein Dienstbote herbeigeeilt kam, um den Schaden zu beseitigen.
Das Gesicht des Doktors war tiefrot. Verlegen sah er sich im Raum um, ehe er sich Tristan zuwandte. „Lord Rochester. Sie haben mich überrascht.“
„Das erstaunt mich“, murmelte Tristan. „Sie mussten doch wissen, dass ich auf Sie zukommen würde. Sie haben Mrs. Thistlewaite heute besondere Aufmerksamkeit erwiesen. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie damit aufhören würden.“
Der Arzt blinzelte. „Aufhören? A...aber ich habe doch nie ...“
„,Nie‘ ist ein wunderbares Wort. Wollen wir es dabei belassen, ja?“ Tristan trank sein Glas aus und
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