Kosaken Liebe
versteckte Drohung, der erste heimliche Tritt in den Hintern. Er lächelte breit, aber seine dunklen Augen funkelten. Die Augen eines Bären, dem Mitleid unbekannt ist. »Wir sind dem Ruf gefolgt, das Christentum zu verteidigen«, sagte er. »Der Herr im Himmel wird es uns lohnen – und Semjon Stroganow!«
5
Der große Herr erwartete Jermak und Muschkow in dem gewaltigen Audienzsaal, der mindestens ebenso prunkvoll und erdrückend weiträumig war wie der Saal Iwans IV. im Moskauer Kreml. An den mit Seiden bespannten Wänden standen Bänke, bezogen mit Blaufuchsfellen und Eichhörnchenbalgen, mongolische Teppiche lagen auf den Steinplatten des Bodens, die Öllampen waren von tatarischen Künstlern aus Gold getrieben und mit Edelsteinen verziert.
Semjon Stroganow trug trotz des Sommers einen Umhang aus feinstem Zobel. Ihm war es zu warm darin, aber es war nötig, dem wilden Jermak zu zeigen, daß nicht der Zar im fernen Moskau, sondern der Stroganow in Orjol an der Kama der mächtigste Mann in Rußland war.
Und wieder verstand Jermak gut, was gemeint war, und machte zum erstenmal in seinem Leben eine Art Verbeugung. Ganz leicht senkte er das Haupt und ganz kurz nur, aber für Muschkow war es geradezu ungeheuerlich.
»Ich heiße dich willkommen, Bruder Jermak«, sagte Semjon Stroganow und küßte den größten Räuber und Halunken, den Rußland je hervorgebracht hatte. Der Satz floß ihm leicht über die Lippen … Wer ein Land wie Mangaseja erobern will, der sollte sich mit Kleinigkeiten wie Moral nicht aufhalten. »Für dich und deine Brüder ist gesorgt. Wir haben eine eigene Stadt für euch gebaut, ein schönes Stück Land an der Kama, denn wir werden noch viel zu arbeiten haben, ehe uns Gottes Ruf über den Ural führt.«
Eine eigene Kosakenstadt … Jermak war zufrieden. Heute würde man sagen, Stroganow habe einen riesigen Kasernenkomplex gebaut, von Orjol und der übrigen Umwelt abgeschlossen. Ein Ghetto, das gleichzeitig Schutz war für die Frauen, die außerhalb dieser Kaserne lebten.
»Und wie ist es mit den Weibern, Semjon Stroganow?« fragte Muschkow. Marina war nicht da, und er fühlte sich verpflichtet, zur Hebung seines Ansehens diese Frage zu stellen. Jermak nickte ihm beifällig zu.
»Es gibt genug.« Semjon Stroganow lächelte weise. »Ich weiß, was ein Soldat braucht, meine Brüder. Ich bin unter Soldaten aufgewachsen.«
Unterdessen besuchte der Kosakenpope Oleg Wassiljewitsch Kulakow seinen Amts- und Glaubensbruder in der Privatkirche der Stroganows. Die Kosaken waren abgesessen, standen in dem großen Hof des Kremls neben ihren Pferden und ließen sich von der Dienerschaft bestaunen wie wilde Bären. Ein paar Mägde kicherten in sicherer Entfernung. Die ersten schweinischen Rufe hallten über den Hof.
»Kyrie eleison«, sagte der Kosakenpope in der Kirche. Er bestaunte die Pracht der Ikonostase, den herrlichen goldenen Hauptaltar, die wertvollen Meßgefäße, die mit kostbaren Perlen und Edelsteinen bestickten Kamilawkas, die Kopfbedeckungen der Priester, auf einem Tisch aufgereiht wie hohe Kuchen. Oleg Wassiljewitsch Kulakow bedauerte es sehr, nicht auch hier um ein ›Geschenk‹ bitten zu können, so aufreizend der Anblick auch war.
»Gott mit uns!« antwortete der Stroganowpope fromm und schlug ein großes Kreuz über sich. »Wir werden es nötig haben.«
»Bruder im Herrn, wir sind gekommen, um die Grenze des Christentums zu verschieben und ihm Lob zu singen.«
»Amen«, sagte der Bruder dumpf. »Wir haben dir in der Kosakenstadt eine Kirche gebaut.«
»So schön wie diese?«
»Nicht ganz, meine Brüder.«
»Gott wird weinen. Alle Menschen sind Brüder, du sagst es!« Der Kosakenpope trat näher, faßte seinem Kollegen an den langen Bart und zog ihn nahe zu sich. »Es darf nicht herrschen Ungleichheit in der Welt des Glaubens. Versprich mir ein paar Ikonen, Brüderchen. Auch ein Kosak erfreut sich am Abbild der Heiligen …«
Nach einer halben Stunde einigte man sich, daß auch die Kosakenkirche ein wenig Glanz erhielt und nicht bloß ein kahler Holzschuppen sein würde.
Zur gleichen Zeit ritt Alexander Grigorjewitsch Lupin auf seinem müden, halb lahmen Pferd in den Kreml der Stroganows ein und suchte nach dem Stallmeister des großen Herrn. Marina sah ihren Vater, wie er vom Pferd glitt und mit staksigen Beinen in den langgestreckten Ställen verschwand. Ihr Herz begann schmerzhaft zu klopfen. Sie lehnte den Kopf gegen die Mähne von Jermaks Pferd und spürte, wie ihre
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