Kosaken Liebe
Sattel schwankte.
»Angst kennst du wohl nicht, Bürschchen?« schrie Jermak. »Und töten ist für dich eine Lust, was?«
»Töten ist furchtbar, Jermak Timofejewitsch!« sagte Marina Alexandrowna und stellte die Lanze mit dem Wimpel in den Steigbügel. Jetzt glich sie einer Johanna von Orleans der Kosaken … aber wer kannte schon in Rußland das in den Flammen lodernde Mädchen aus Domremy? »Ich habe es nur getan, um Muschkow und mich zu schützen! Ich hasse den Krieg!«
»Wir kämpfen für das Christentum!« sagte Jermak dunkel.
»Ich weiß.« Sie lachte ihn an, und einen Augenblick lang dachte Jermak: Das könnte ein Mädchen sein! Dieser Boris Stepanowitsch ist fast zu schön für einen Mann … Kein Wunder, wenn ihn manche ansehen und merkwürdige Gedanken bekommen. Die Grübchen in den Wangen funkelten. »Es gibt keinen Kosaken, der nicht schamlos lügt …«
Da lachte auch Jermak, schrie »Hoi! Hoi!« und galoppierte einem Trupp nach, der noch einige Ostjaken verfolgte.
Es war ein vollkommener Sieg, und die Stroganows waren sehr zufrieden. Sie zahlten Jermak als Prämie fünftausend Goldrubel – ein Vermögen im Jahre 1581.
Nikita und Maxim Stroganow konnten feststellen, daß die Probe gelungen war, die Schlagkraft der kleinen Armee war bewiesen. Gut ausgerüstet, konnte man es wagen, den Ural zu überqueren und in das sagenhafte Land Mangaseja einzubrechen. Sibirien war reif für die Eroberung.
Alles, was man über das unendliche Land wußte – von Pelztierjägern, von wandernden Mönchen, aus den Erinnerungen des heiligen Stephanus, der als erster Priester allein in die Wildnis gezogen war, wurde noch einmal zusammengestellt. Man zeichnete Karten nach diesen Angaben, man wußte, daß es die großen Flüsse Tobol und Irtysch gab, die sanfte Tura und die steinige Tunguska. Man wußte von den unübersehbaren Wäldern und Sümpfen, von dem unfaßbaren Reichtum an Bibern, Zobeln und Füchsen. Man munkelte von Goldfunden an den Flüssen … dort sollte der Reichtum einfach im Sand liegen – und niemand nahm ihn auf!
Dieses Land für das Christentum zu erobern – so lautete die offizielle Begründung –, in Wahrheit aber unermeßlichen Reichtum zu sammeln für den Zaren in Moskau, für die Stroganows, für Jermak und seine wilde Bande … das war eine Aufgabe, wie sie noch keinem Menschen gestellt worden war.
Sogar der alte, weise Semjon Stroganow kam aus seinem Kloster Solwytschegodsk zurück an die Kama, so wichtig erschien ihm dieser geschichtliche Moment – die Verwirklichung dieses Vorhabens. Was Zar Iwan mit seinem Dekret im Jahre 1574 den Stroganows zugesagt hatte – freie Hand bei der Eroberung Sibiriens –, das sollte nun endlich Früchte tragen. Die reichsten Männer der Welt – das würden die Stroganows sein, wenn Jermaks Sibirienzug erfolgreich war.
Eines Abends kam ein Bote aus dem Kreml von Orjol und bat Jermak Timofejewitsch als Gast zu den Stroganows.
»Ihr kommt mit!« sagte Jermak zu Muschkow und Marina Alexandrowna. »Und laßt eine Hundertschaft vor dem Kremltor warten. Es gibt keinen, der Jermak überlisten könnte!«
Im Audienzsaal der Stroganows war ein riesiger Tisch gedeckt. Es gab Wein aus Frankreich, ein ganzes gebratenes Schwein, Hühner und Platten voller Gemüse und Obst. Zierliche blonde Mädchen aus Livland versahen statt der Diener den Dienst an der Tafel. Eine kleine Kapelle – Holzbläser, Gitarristen und Zimbelschläger – saß hinter einem großen Vorhang aus chinesischer Seide und begleitete das Essen mit leiser Musik.
Jermak war auf der Hut. Wie ein in einem goldenen Käfig gefangenes Wild lauerte er, wog jedes Wort ab und wartete auf die große Enthüllung. Gastfreundschaft allein bestimmte diesen Abend nicht, so gut kannte er die Stroganows bereits. Und die Anwesenheit des alten Semjon bewies ihm vollends, daß heute noch eine große Entscheidung getroffen werden sollte.
Maxim, der Kaufmann, begann das Vorgeplänkel, nachdem man sich zum wiederholten Mal mit Wein in geschliffenen französischen Pokalen zugetrunken hatte. Nikita hatte abseits, noch durch einen Gobelin verdeckt, einen Tisch mit Karten aufgebaut. Semjon, der alte Fuchs, saß in Mönchskleidung am Tisch, scheinbar weltentrückt – und doch der große Geist, der alles bestimmte und dirigierte. Er hatte die Verträge entworfen und fertig geschrieben, nur die Unterschriften fehlten noch. Was ein Stroganow auch tat – es war immer durch Verträge abgesichert.
»Jermak
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