Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
welche?«
»Die Partisanen um Aris Velouchiotis. Die haben sich mit den Deutschen in der Besatzungszeit mehrere Schlachten geliefert. Nicht auszuschließen, daß einige von ihnen toten deutschen Soldaten die Pistolen abgenommen haben.«
»O ja aber die Griechische Volksbefreiungsarmee wurde doch '45 durch den Vertrag von Varkisa entwaffnet.«
Vavidakis lacht auf. »Kommen Sie schon, Herr Kommissar. Ganz abgesehen davon, daß sich viele Angehörige der griechischen Volksbefreiungsarmee damals geweigert haben die Waffen abzugeben - auch diejenigen, die es getan haben, lieferten nur das schwere Gerät ab. Wer sagt denn, daß sie nicht eine Pistole oder eine Flinte, und sei es nur als Souvenir, zurückbehalten haben? Vergessen Sie nicht, daß es damals keine Kontrollmöglichkeiten gab.«
Während mich die U-Bahn von der Station Ethniki Amyna nach Ambelokipi fährt, sage ich mir, daß Vavidakis' Gedanke, so unwahrscheinlich oder an den Haaren herbeigezogen er auch scheint, das einzige fundierte Argument ist. Erstens, weil er eine Quelle benennt, woher die Luger stammen könnte, und zweitens, weil er die Rolle des Alten erklärt. Wenn es sich tatsächlich um einen alten Partisanen handelt, muß er jetzt über Achtzig sein. Und eines ist inzwischen klar: daß wir es mit einem Killer und einem Mittäter zu tun haben. Der Killer ist der Bodybuilder-Typ, der Mittäter ist der alte Mann, der die Anrufe tätigt. Hieraus ergibt sich eine Frage, die genauso schwierig zu beantworten ist wie die nach der Luger: Was für ein Motiv könnte ein Achtzigjähriger haben, einem jungen Mann dabei zu helfen, Personen und Funktionäre aus der Werbebranche zu töten? Ihn sogar mit einer Waffe zu versorgen? Achtzigjährige sitzen entweder vor dem Fernseher, gehen mit ihren Enkeln spazieren oder ins nächste Kafenion, wo sie die Vergangenheit in romantischen Bildern aufwärmen. Handelt es sich vielleicht um einen kleinen oder mittleren Unternehmer, der wegen einer Werbekampagne der Konkurrenz in Konkurs gegangen ist und nun einen Rachefeldzug gestartet hat? Meine Theorien überzeugen nicht einmal mich selbst Und so tappe ich nach wie vor im dunkeln.
Sobald ich aus der U-Bahn-Station Ambelokipi auf den Alexandras-Boulevard emportauche, stürmen die Dinge über mich herein wie die Takte des Donauwalzers, den ich mit Adriani auf dem Polizeiball zum ersten Mal getanzt hatte. Die Polizeibälle begannen stets mit Walzer, d. h. dem Donauwalzer, dann folgte Tango, d. h. La Cumparsita, und zum Schluß gab's Volkslieder, d. h. Ein Adler saß in seinem Horst... Wollte man dem Ende entrinnen, mußte man spätestens bei La Cumparsita gehen. Denn wenn die Volkslieder begannen, mußte man bleiben und im Chor mitsingen, andernfalls lief man Gefahr, als Gesinnungsgegner, wenn nicht gar als verkappter Kommunist betrachtet zu werden.
Als ich die Leute vor den Zeitungskiosken stehen sehe, wie sie auf die Schlagzeilen starren, fühle ich mich wie damals, bei den ersten Takten des Donauwalzers. Bis vor wenigen Jahren war das ein ganz normaler Anblick, nun ist dieses Phänomen ganz verschwunden. Na, höchstens bei den Sportzeitungen gibt es das noch. So wie die Zahl der Zeitungsleser sank, wurde auch die Zahl der Glotzer vor den Kiosken dezimiert. Wenn man also Leute vor den am Kiosk baumelnden Schlagzeilen sieht, dann bedeutet das: Es ist etwas Erschütterndes passiert, das am Vorabend noch nicht im Fernsehen zu sehen war. Obwohl ich mir ausmalen kann, was passiert ist, bleibe ich stehen, um mich mit eigenen Augen zu überzeugen.
Die Zeitung Politia hat das Schreiben des Mörders auf den Titel gesetzt, mit der Schlagzeile: »Schluß mit Werbung!« Und darunter: »Werbebranche im Fadenkreuz des Serienkillers. Letztes Opfer: Chara Jannakaki.« In zwei Spalten auf der rechten Seite wird das vollständige Schreiben des »Mörders des Großaktionärs« veröffentlicht.
Vor meinem Büro erwartet mich ein weiterer Ansturm, und er ist wesentlich wirbliger als die ersten Takte des Donauwalzers. Sobald sie mich den Flur entlangkommen sehen, stürmen sie auf mich los und nehmen mich mit ihren Fragen massiv unter Beschuß. Die Polizeibeamten sind aus den übrigen Büros herausgetreten und verfolgen das Schauspiel. Ich bleibe mitten auf dem Flur stehen und sage mit sanftmütiger Miene: »Warum unterhalten wir uns nicht in meinem Büro?«
Meine Reaktion kommt völlig unerwartet für sie, denn ich pflege normalerweise keine solchen
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