Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
er und steht auf.
»Sollen wir auf dich warten?« fragt mich Adriani.
»Kann ich noch nicht sagen. Ruf mich auf dem Handy an, wenn ihr aufbrecht.«
»Mich jedenfalls werdet ihr nicht so schnell los«, scherzt Fanis.
Wir brauchen gerade mal eine Viertelstunde zum Präsidium auf dem Alexandras-Boulevard. Ich nehme den Fahrstuhl in die fünfte Etage und durchquere das leere Vorzimmer. Koula muß schon vor längerer Zeit gegangen sein. Gikas sitzt an seinem Schreibtisch, in Gesellschaft eines Fünfzigjährigen mit ziegelrotem Hemd und weißer, zerknitterter Hose. Seine nackten Füße stecken in Mokassins.
»Darf ich Ihnen Herrn Timos Petrochilos vorstellen«, meint Gikas, ohne Zeit zu verlieren. »Herr Petrochilos ist Chefredakteur der Zeitung Politia. Dorthin wurde das Schreiben geschickt.«
»Ist es direkt an Sie geschickt worden oder hat man Ihnen gesagt, wo Sie es holen sollten?« frage ich ihn.
»Wir wurden verständigt, es sei in der unserer Redaktion gegenüberliegenden Telefonzelle hinterlegt.«
»Hat man Sie persönlich verständigt oder über die Telefonzentrale?«
»Über die Zentrale, die mich dann benachrichtigt hat.«
»Erinnern Sie sich an die Uhrzeit?«
»So gegen acht. Rechnen Sie noch etwa eine Stunde dazu, so lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich vorgehen sollte.«
»Hier bitte«, sagt Gikas und reicht mir ein vor ihm liegendes Blatt Papier.
Es ist ein Schreiben auf weißem, liniertem Papier, wie es früher für Berichte oder Anträge verwendet wurde. Und es ist mit der Hand verfaßt, wie man früher Anträge verfaßte: links der Empfänger und rechts der Text. Die Schrift wirkt schülerhaft, offensichtlich hat sich der Verfasser Mühe gegeben, deutlich und leserlich zu schreiben.
»Herr Chefredakteur!
Scheinbar stoße ich auf taube Ohren. Vor zwei Wochen habe ich die Werbefirmen, die Fernseh- und die Radiosender davor gewarnt, mit den Werbespots weiterzumachen. Sonst würde ich nach und nach alle umbringen, die mit der Werbebranche zu tun haben. Ich habe sogar angeregt, meine Drohung öffentlich zu machen, als Grund und Rechtfertigung dafür, daß die Werbesendungen eingestellt werden müßten. Aber auch, damit die Leute merken, daß einige es nicht mehr hinnehmen, sieben Tage in der Woche und vierundzwanzig Stunden am Tag diesen Müll vorgesetzt zu bekommen. Um zu beweisen, daß ich nicht scherze, habe ich einen dieser Halunken umgebracht, die in Fernsehwerbespots mitspielen. Die Werbeleute und die Sender taten, als ob nichts gewesen wäre. Dann habe ich einen zweiten Halunken getötet und meine Drohung wiederholt. Und wiederum haben sie sich taub gestellt. Heute habe ich die Journalistin Chara Jannakaki getötet, die ihre Sendung mit Schleichwerbung vergiftet. Nun schicke ich Ihnen dieses Schreiben und fordere Sie auf, es umgehend zu veröffentlichen. Wenn dieses Schreiben nicht publiziert und die Werbesendungen nicht eingestellt werden, wird es noch weitere Opfer zu beklagen geben, wir wollen keine Werbung mehr! wir wollen keine verarschung mehr! wir tollen nicht länger von Lügnern und Betrügern an der nase herumgeführt werden!«
»Und was haben Sie jetzt vor?« frage ich Petrochilos, als ich zu Ende gelesen habe.
»Das wollte ich Sie fragen.«
»Wir können Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen«, ergreift Gikas das Wort. »Morgen wirft man uns dann Pressezensur vor.«
»Ich bin nicht hier, damit Sie mir etwas vorschreiben, ich will Ihren Rat.«
»Wer hat sonst noch das Schreiben gesehen?« fragt Gikas.
»Niemand.«
»Was meinen Sie, Kostas?« Gikas blickt mich unentschlossen an.
»Ich will aufrichtig zu Ihnen sein«, kommt mir Petrochilos zuvor. »Für mich ist die Versuchung sehr groß. Wenn ich das Schreiben publiziere, die Branche verschreckt wird und die TV- und Radiowerbespots rapide zurückgehen, steigen automatisch die Werbeanzeigen in den Printmedien. Begreifen Sie, über welche Dimension von Einnahmensteigerung wir da reden?«
»Und wenn Sie es nicht veröffentlichen?« fragt Gikas neugierig.
Petrochilos zuckt mit den Achseln. »Wahrscheinlich kommt es auch dann zu einem Anstieg, aber in wesentlich geringerem Ausmaß, und die Morde gehen trotzdem weiter. Wenn ich jedoch das Schreiben publiziere, besteht die Möglichkeit, daß wir mehr Einnahmen und weniger Opfer haben.«
»Dann sollten Sie es veröffentlichen«, erkläre ich entschieden.
Gikas
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