Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
erhebe mich. »Vielen Dank, Frau Nestoridou. Nötigenfalls laden wir Sie zu einer Vernehmung vor.«
Sie gibt mir ihre Telefonnummer und begleitet mich zur Wohnungstür. Der Diskuswerfer ist nach wie vor bereit, sein Wurfgeschoß auf den Marmortisch zu schmettern und den Spiegel in tausend Stücke zu zerschlagen.
Als ich auf den Fahrstuhlknopf drücke, fällt mir ein, daß früher in den Burgen die Wachposten immer hoch oben lagen, in den modernen Wohnhausanlagen jedoch stets im Erdgeschoß zu finden sind. Dort wohnen diejenigen, welche die anderen Revue passieren lassen und beobachten. Bei meiner Ankunft hatte ich eine weißhaarige Dame bemerkt, die von ihrem schmalen Fenster im Erdgeschoß aus die Plapouta-Straße überblickte, während an ihrer Seite ein Hündchen die Schnauze hochreckte. Ich läute an ihrer Klingel, und sie ist, möglicherweise in der Hoffnung auf ein Schwätzchen, sofort an der Tür.
»Kommissar Charitos. Darf ich Sie kurz stören?«
»Es geht um Stelios, nicht wahr? Kommen Sie herein.«
Sie führt mich in ein kleines Wohnzimmer, eingerichtet mit Familienerbstücken aus den dreißiger Jahren. Ich nehme auf einem jener alten Sessel Platz, deren Armlehnen halbmondförmig bis zum Boden hinunter geschwungen sind. Die Weißhaarige setzt sich mir gegenüber in einen Stuhl.
»Afroditi Teloni«, stellt sie sich vor. »Buchhalterin im Ruhestand, verwitwet und kinderlos.«
Das Hündchen entfernt sich vom Fenster, stellt sich vor mir auf und beginnt mich anzukläffen. »Ruhig, Lucky«, sagt sie streng. Danach wendet sie sich mir zu. »Lucky ist für mich eine Art Altenpfleger. Seinetwegen kann ich nicht ins Altersheim gehen, denn Hunde sind dort nicht erlaubt.«
Sie bemüht sich redlich, mit mir ins Gespräch zu kommen, doch ich habe weder Zeit noch Lust auf eine Plauderei. »Kannten Sie Stelios Ifantidis?«
Sie drückt ihre rechte Hand an die Stirn. »Ach, erinnern Sie mich nicht daran. Zwei Tage schon schalte ich den Fernseher - meine einzige Gesellschaft - nicht ein, um sein Gesicht nicht zu sehen.«
»Kannten Sie ihn näher?«
»Herr Kommissar, in meinem Alter kennt man niemanden mehr näher. Nicht nur, weil mein Augenlicht nicht mehr mitmacht, sondern weil niemand eine Frau näher kennenlernen will, die aus einer anderen Zeit stammt.« Ein tiefer Seufzer entringt sich ihrer Brust, und sie fährt fort: »Aber Stelios' Gesellschaft hat mir Freude gemacht. Und es waren nicht nur der kurze Gruß und die paar Sätze im Treppenhaus, sondern des öfteren fragte er mich, ob er mir etwas einkaufen sollte, oder trug mir meine Einkaufstüten in die Wohnung. Lucky liebte ihn heiß, weil er mit ihm spazierenging, wenn mir nicht wohl war oder bei großer Kälte, weil ich dann ungern hinausgehe. Was soll ich Ihnen sagen? Er war ein wunderbarer junger Mann.«
»Wußten Sie, daß er Fotomodell war?« Ich frage danach, weil ich nicht weiß, wie ich nach seinem anderen Charakteristikum fragen soll.
»Sagte ich nicht schon, daß das Fernsehen mein einziger Trost ist? Also habe ich ihn jeden Abend gesehen. Ich habe es ihm gegenüber sogar direkt angesprochen, obwohl mir da keine Meinung zustand. >Lieber Stelios, vernachlässige wegen einer Karriere als Fotomodell deine Ausbildung nicht<, meinte ich zu ihm. >Halten Sie mich für verrückt?< war seine Antwort. >Ich will bloß Geld verdienen, damit ich zum einen meiner Mutter nicht auf der Tasche liege und damit ich zum anderen etwas auf der hohen Kante habe, wenn ich mich selbständig mache.< Er war ein vernünftiger junger Mann, sage ich Ihnen.«
Zunächst verfluche ich mich, weil ich nicht daran gedacht habe, Ifantidis' Schwester nach seinen finanziellen Verhältnissen und seinem Bankkonto zu fragen. Es war mir auch nicht einmal in den Sinn gekommen, Vlassopoulos darauf anzusetzen. Doch es ist wohl in meiner Situation nur all. zu verständlich, daß ich im Moment solche Fehlleistungen begehe.
»Wissen Sie, ob er Freunde hatte?«
»Ich muß Ihnen wohl nicht sagen, daß er schwul war, das wissen Sie sicher schon.«
»Ich weiß. Hat er über Persönliches mit Ihnen gesprochen?«
»Vor mir hatte er keine Geheimnisse. Mir erzählte er von seinen Familienangelegenheiten und von seinem Liebesleben.«
Ich kann mir vorstellen, wie sie hier in diesem kleinen Wohnzimmer saßen und beim Mokka plauderten. Wenn die Teloni Kaffeesatz lesen kann, hat sie ihm sicherlich sein Schicksal
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