Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
griechische Wohngegend.«
»Hat nicht Loxandra, die Heldin der legendären Fernsehserie, in Makrochori gelebt?«
»Genau.«
»Dann komme ich mit«, meint Adriani und stürmt los, um ihre Handtasche zu holen.
»Das haben Sie gut hingekriegt«, sage ich zur Mouratoglou.
»Schadensbegrenzung ist das Allererste, was man in Istanbul lernt, Herr Charitos. Nach außen hin mussten wir uns stets wie ein Herz und eine Seele präsentieren, auch wenn unter uns Hass, Bosheit, Neid, Zwietracht und weiß der Himmel noch was herrschten.«
Erneut fahren wir über die Küstenstraße in Richtung Flughafen. Wenn mich Gikas fragte, was sich mir von Istanbul am stärksten eingeprägt hat, müsste ich an mich halten, um nicht diese Strecke anzuführen. Denn das wäre ganz so, als würde ich die Attika-Ringstraße, die zum Eleftherios-Venizelos-Flughafen führt, zur besonderen Athener Sehenswürdigkeit erklären. Ich sitze auf dem Beifahrersitz, während Adriani und die Mouratoglou auf den Rücksitzen mit gedämpfter Stimme miteinander plaudern.
Das Taxi verlässt die Küstenstraße und biegt in die engen Gassen der Altstadt ein. »Hier beginnt Makrochori«, erläutert die Mouratoglou, um in der Folge den Taxifahrer zu veranlassen, bei jedem zweiten Passanten anzuhalten, damit sie ihn nach dem Weg zur griechischen Schule fragen kann. Die meisten blicken sie ratlos an, einige heben die Hände, um ihre Ahnungslosigkeit zu unterstreichen, ein dritter schickt uns im Brustton der Überzeugung genau in die verkehrte Richtung.
»Die sind alle neu zugezogen«, erklärt die Mouratoglou. »Die kommen aus dem tiefsten Anatolien, und die einzige Strecke, die sie kennen, ist die von ihrer Wohnung zum Kramladen. Kann sein, dass sie jeden Tag an der griechischen Schule vorbeilaufen, ohne dass ihnen das Gebäude etwas sagt.« Schließlich löst eine Frau mittleren Alters, die sich als Armenierin herausstellt, den gordischen Knoten und erklärt uns den Weg.
Wie schon am Morgen ist das schmiedeeiserne Tor verschlossen. Ich folge Murats Beispiel und hämmere mit der flachen Hand dagegen. Der Lärm, den das Schlagen des Gestänges gegen das Eisenblech hervorruft, erregt das Aufsehen der ganzen Straße, die Passanten bleiben stehen und gucken neugierig herüber. Nach etwa drei Minuten hören wir, wie sich ein Schlüssel langsam im Schloss dreht, der eine Türflügel öffnet sich halb, und das mir schon wohlbekannte runzlige Gesicht mit dem misstrauischen Blick lugt heraus.
Die Mouratoglou mobilisiert ihren ganzen Charme. »Guten Tag, dieser Herr hier würde gerne kurz mit Ihnen sprechen.«
Der Alte starrt die Mouratoglou an. Aus ihrem Tonfall hat er herausgehört, dass sie aus Istanbul stammt. Dann wendet er sich mir zu und redet auf Türkisch auf mich ein. »Der Herr ist Grieche, er versteht kein Türkisch«, erklärt ihm die Mouratoglou.
Der Hausmeister lässt das Türkische sein, doch er blickt mich weiterhin schief an. »Sind Sie nicht heute Morgen mit dem Komiser Bey hier gewesen?«, fragt er schließlich.
»Ja, ich bin griechischer Polizeibeamter und arbeite mit den türkischen Behörden zusammen. Wir suchen eine Griechin, die ihren Bruder in Griechenland getötet hat und danach nach Istanbul gereist ist. Wir befürchten, dass sie möglicherweise auch Kalliopi Adamoglou umgebracht hat.«
Der Hausmeister blickt mich nachdenklich und unentschlossen an. Dann öffnet er beide Flügel des Eisentores. »Kommen Sie rein«, sagt er zu uns.
»Besprechen Sie das untereinander. Frau Charitou und ich machen einen Spaziergang durch Makrochori.«
Ich habe nichts dagegen, dass die Mouratoglou Adriani zu einem kleinen Rundgang entführt, und trete in den Schulhof. Die Tür fällt hinter mir ins Schloss. Der Hausmeister geht voran in die Portiersloge - ein Kämmerchen, in dem gerade mal ein Tresen mit zwei Stühlen und dahinter ein Klapptisch mit einem Gaskocher Platz finden.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragt der Hausmeister.
»Nein danke. Ich möchte, dass Sie mir dasselbe noch einmal erzählen, was Sie heute Morgen dem türkischen Beamten gesagt haben. Er hat es mir zwar übersetzt, aber ich höre es lieber von Ihnen persönlich.«
»Na, na, na, eigentlich wollen Sie das hören, was ich dem Komiser Bey nicht erzählt habe.«
»Gibt's denn da etwas, was Sie ihm verschwiegen haben?«, frage ich, da mich tatsächlich genau diese Hoffnung erneut hierhergetrieben
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