Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Begeisterung der anderen über den Dolmabahe-Palast zu bremsen.
»Ich habe ja nicht gesagt, dass er mir nicht gefällt«, rechtfertigt er sich. »Aber verlangen Sie jetzt bloß nicht von mir, ihn mit dem Werk von Gärtners zu vergleichen.«
»Und wer soll das sein?«, wirft die Stefanakou ein.
»Friedrich von Gärtner war der Architekt, der König Ottos Schloss errichtet hat, das heutige griechische Parlament«, erklärt Despotopoulos. »Und wer hat den Dolmabahe-Palast erbaut? Zwei armenische Architekten. Hat man je davon gehört, dass Armenier in die internationale Architekturgeschichte eingegangen wären?«
»An Prunk ist er jedenfalls nicht zu überbieten«, berichtigt ihn die Stefanakou. »Und dieses Treppenhaus erst mit der Kristallbalustrade, meine Güte! Stellen Sie sich mal vor, die Sängerin Sofia Vembo schreitet singend die Stufen hinunter!«
»Ja, schon«, wirft ihr Mann ein. »Wir reden aber vom Osmanischen Reich. Die haben, genauso wie die Briten, überall auf der Welt geplündert.«
»Wollen Sie damit sagen, die Kristallbalustrade wurde als Beutegut mitgebracht?«
»Die Balustrade vielleicht nicht, aber mit Sicherheit der riesige Kronleuchter.«
»Der Kronleuchter im Thronsaal ist nicht gestohlen«, bemerkt die Mouratoglou. »Er war ein Geschenk von Queen Victoria an den Sultan.«
Stefanakos wirft ihr einen giftigen Blick zu. »Ihr Konstantinopler Griechen mitsamt dem Ökumenischen Patriarchat in Fener habt allen Grund, den Sultan zu unterstützen. Ihr habt vierhundert Jahre lang mit goldenen Löffeln gegessen, weil ihr euch immer im Dunstkreis der Macht bewegt habt.«
Die Mouratoglou springt mit einem schroffen »Dann entschuldigen Sie mich wohl!« von ihrem Platz auf und rauscht an mir vorüber zur Rezeption. Adriani blickt der Mouratoglou hinterher, und dabei gerate ich in ihr Blickfeld.
Sie will schon mit einem »Na, wieder da?« auf mich zukommen, doch ich laufe der Mouratoglou hinterher und erwische sie gerade noch, als sie ihren Zimmerschlüssel in Empfang nimmt.
»Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«, frage ich sie.
Sie blickt mich überrascht an, doch ihre Gedanken sind ganz woanders. »Haben Sie die Diskussion vorhin mitbekommen?«, fragt sie mich.
»Ab dem Zeitpunkt, wo vom griechischen Parlament die Rede war.«
»Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Kommissar. Ihr seid keine Sklaven der Osmanen mehr. Ihr bezahlt ihnen keine Steuern, ihr werdet von keinem Despoten wie Ali Pascha unterdrückt und ihr führt auch keinen Freiheitskampf mehr gegen die Osmanen. Solltet ihr nicht langsam den Minderwertigkeitskomplex des andersgläubigen osmanischen Untertanen ablegen? Wir haben in diesem Land eine Menge mitgemacht, und wir hatten Angst vor den Türken, weil wir nie wussten, was morgen auf uns zukommt. Doch unterlegen haben wir uns ihnen gegenüber nie gefühlt. Überlegen ja, komplexbeladen nie.«
Sie atmet tief durch, als hätten die Worte sie erleichtert. »Darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«, versuche ich es nun erneut, in der Hoffnung auf mehr Glück diesmal.
»Natürlich, gerne«, entgegnet sie, als höre sie meine Bitte zum ersten Mal.
»Ich muss zur griechischen Schule in Bakirköy fahren. Könnten Sie vielleicht mitkommen, weil ich den Weg nicht kenne und mich mit dem Taxifahrer nicht verständigen kann?«
»Na, klar doch.«
Adriani ist inzwischen zu uns gestoßen und protestiert prompt: »Das Programm sieht aber einen Ausflug in den asiatischen Stadtteil vor.«
»Die gegenüberliegende Seite habe ich schon unzählige Male besucht, da verpasse ich nichts«, meint die Mouratoglou und steigt in meiner Wertschätzung gleich um ein paar Prozent.
»Entschuldige bitte, Kostas, aber reicht es nicht, wenn du dir deine Ferien mit beruflichen Sorgen vergällst? Musst du denn auch noch unsere Mitreisenden damit behelligen?«
Sie verwendet die kultivierte Sprache griechischer Groschenromane, die sie perfekt beherrscht, und was ihre Worte verschweigen, offenbart ihr giftiger Blick.
»Mittlerweile würde ich an alle möglichen Orte fahren, Frau Charitou, nur um nicht mit den Leuten da zusammen sein zu müssen.« Und sie deutet in Richtung der Cafeteria. »Wollen Sie nicht mitkommen?«, wendet sie sich plötzlich an Adriani, als sei ihr gerade ein guter Einfall gekommen. »Statt als Tourist die asiatische Seite zu besuchen, werden Sie Makrochori kennenlernen, eine sehr alte
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