Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
von einer Verwandten oder Bekannten erzählt hätte, die aus Griechenland zu Besuch gekommen war?«
»Eine Verwandte war das, soviel ich weiß.«
»Hat sie das Ihnen gegenüber erwähnt?«
»Dem Pfarrer hat sie von dem Besuch erzählt, das habe ich mitbekommen. Sie befürchtete schon, sie würde sich bei ihr einnisten. Den Rest habe ich dann von der Iliadi erfahren, der anderen Alten.«
»Was hat die Ihnen erzählt?«
»Dass sie eine entfernte Cousine mütterlicherseits war, die sie beinahe fünfzig Jahre nicht mehr gesehen hatte. Die Iliadi konnte sich vage an eine Cousine erinnern, aber mich ging das ja nichts an, und so habe ich nicht weiter gefragt.«
»Wo kann ich die Iliadi finden?«
»Sie wohnt zwei Straßen weiter, aber vielleicht ist sie gerade wieder bei ihrer Tochter. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«
Wir treten vom Hof aus auf die Straße, und der Hausmeister versperrt die eiserne Tür hinter uns. Vor uns liegt ein Wildwuchs billiger Wohnbauten, die in grellen Farben gestrichen sind: rosa, kanariengelb und ockerfarben. An der Ecke biegt der Hausmeister nach rechts ab und führt mich in eine weitere Straße gleichen Zuschnitts.
»All das waren früher mal Holzbauten, und die meisten davon gehörten unseren Leuten«, erläutert er mir.
»Wurden sie abgerissen?«
»Niedergebrannt. Da der Abriss von Holzbauten mittlerweile verboten ist, steckt man sie in Brand, und auf den Ruinen baut man das, was Sie vor sich sehen.«
Die Wohnung der Iliadi liegt im einzig erhaltenen Holzhaus der Straße, eingezwängt zwischen einem vierstöckigen Neubau und einem großen Wohnblock, die beide in rosa Farbtönen gestrichen sind. Wir betätigen den eisernen Türklopfer, doch zu meinem Leidwesen öffnet uns niemand.
»Wissen Sie vielleicht, wo die Tochter der Iliadi wohnt?«, frage ich den Hausmeister.
»Das weiß ich nicht, aber Sie können das leicht herausfinden. Fragen Sie beim Büro des Kirchensprengels von Agios Dimitrios in Kurtuluf nach, wo die Tochter der Iliadi wohnt. Die wissen das bestimmt. Es sind nur mehr so wenige von uns übrig, dass die Kirche jeden von uns kennt. Wahrscheinlich zählen sie täglich nach, wie viele wir noch sind.«
Als wir wieder zurück in der Schule sind, ist von Adriani und der Mouratoglou noch nichts zu sehen. Ich könnte zwar noch einen weiteren Kaffee vertragen, doch ich geniere mich, danach zu fragen.
* 11
Während ich im Taxi nach Kurtulus unterwegs bin, kämpfe ich - selbst nach drei Tassen Kaffee - immer noch damit, mich von der gestrigen Völlerei zu erholen. Denn endlich wurde der allgemeine Wunsch nach dem Besuch einer »Orientalischen Show« erfüllt. Vergeblich versuchte uns die Mouratoglou mit dem Argument zur Räson zu bringen, die hiesigen Bauchtanzlokale seien genauso zur Touristenattraktion verkommen wie die im Sommer geöffneten Bouzouki-Schuppen in der Athener Plaka. Doch ihre Einwände stießen auf taube Ohren, und wir machten uns auf den Weg in ein Nachtlokal, wo das Essen - nach türkischem Standard - mies war, die Tänzerinnen - nach internationalem Standard - jedoch Prachtexemplare.
Anfänglich nörgelte Despotopoulos noch herum. Er fand, die Preise seien übertrieben und das Essen grässlich, doch die Mouratoglou meinte, das sei in den Athener Touristenfallen auch nicht anders. Sein Gezeter verstummte augenblicklich, als die erste Tänzerin erschien. Bei der zweiten sprang Stefanakos auf und begann im Takt mitzuklatschen. Kaum war die Tänzerin abgetreten, ließ sich die Petropoulou, da die Musik weiterspielte, dazu hinreißen, eine Einlage zu geben und so die leere Tanzfläche zu beleben. Ihr Auftritt hatte vermutlich genauso viel mit Bauchtanz zu tun wie das Rebetiko-Lied Misirlou, die Ägypterin mit Kairo, doch das hinderte die Gesellschaft nicht, sie mit rhythmischem Klatschen anzufeuern, worauf es sich auch Stefanakos nicht nehmen ließ, auf die Bühne zu springen und zu tanzen.
Den Höhepunkt erreichte der Abend nach dem Abgang der dritten Tänzerin, als sich nicht nur das Ehepaar Stefanakos, die Petropoulou und die Despotopoulou erhoben, sondern auch der General höchstpersönlich mit solcher Inbrunst loslegte, als sei er beim österlichen Kalamatianos-Tanz in der Kaserne. Das ganze Lokal war auf den Beinen und grölte, mit Ausnahme von Adriani, die im Sitzen mitklatschte, und der Mouratoglou, die nur jeweils am Schluss eines Tanzes applaudierte. Ich beschränkte
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