Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Grieche bin, also werden sie sich mir gegenüber leichter öffnen.«
Er denkt kurz darüber nach, dann lenkt er ein: »Okay, Sie haben recht. Nur bitte ich Sie, dass die Sache unter uns bleibt. Der Brigadekommandeur darf nichts davon erfahren, sonst reagiert er vergrätzt, und ich muss ihm alles lang und breit erklären.«
»Keine Sorge«, beruhige ich ihn. »Und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen alles, was ich in Erfahrung bringe, wortwörtlich übermittle.«
Der Wagen hat inzwischen die Brücke hinter sich gelassen und die Biegung zur Küstenstraße hinunter eingeschlagen.
* 12
Gikas' Anruf erreicht mich auf dem Rückweg von Bey-koz nach Skoutari und vergällt mir den versonnenen Blick auf den Bosporus. »Gibt's was Neues?«, fragt er.
Ich erstatte ihm kurz Bericht über meine gemeinsamen Ermittlungen mit Murat und über die Ergebnisse, die ich hinter Murats Rücken erzielt habe.
»Das heißt, bislang haben wir zwei Opfer, wovon beide griechisch-orthodox sind«, bemerkt er.
»Genau.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Beim ersten Mord liegt das Motiv auf der Hand: Sie hasste ihren Bruder. Doch auch beim zweiten weist alles in dieselbe Richtung. Alle Zeugen sind sich darüber einig, dass die Chambou und die Familie Adamoglou nicht gut aufeinander zu sprechen waren. Scheinbar hat sie ihre Rache für die letzte Nachfahrin der Sippe aufgespart und an ihr dann ihr Mütchen gekühlt.« Ich mache eine kleine Pause und füge dann hinzu: »Das Problem liegt meiner Ansicht nach ganz woanders.«
»Und zwar?«
»Wo hält sich die alte Frau versteckt? Erstens sind hier nicht mehr allzu viele Griechen übrig, und zweitens stellt sich die Frage, wie viele Personen in Istanbul noch am Leben sind, die sie von damals kennt und zu denen sie eine persönliche Beziehung hat. Die meisten ihrer Bekannten müssen gestorben sein oder sich in Griechenland aufhalten. Eigentlich hätten wir sie längst aufspüren müssen. Doch sie geistert nach wie vor durch die Stadt, wie ein Gespenst aus der Vergangenheit.«
»Haben Sie die Hotels gecheckt?«
Ich frage mich, ob er solche Fragen stellt, weil er in seinem Büro bereits Schimmel angesetzt hat oder weil er meint, ich hätte gerade erst die Polizeischule absolviert. »Das haben die türkischen Kollegen gleich am Anfang erledigt«, entgegne ich ruhig. »Erwartungsgemäß haben sie nichts herausgefunden. Können Sie sich vorstellen, dass sie einen Mord begeht und sich danach in ihr Hotelbett legt?«
»Was meint denn Ihr türkischer Widerpart?«
»Wir haben uns darauf geeinigt, dass er eine Liste in Istanbul lebender griechischer Familien anfertigt und sie dann auf die Frage hin durchgeht, ob sie bei einer davon Unterschlupf gefunden haben könnte. Obwohl... große Hoffnungen mache ich mir nicht.«
»Und wie kommen Sie mit dem Türken zurecht?«
»Wir gehen sicherheitshalber auf Distanz.«
»Beten Sie, dass wir nicht über Gebühr in die Sache hineingezogen werden.«
»Der Fall scheint mir nicht so wichtig zu sein, als dass es zu Verwicklungen kommen könnte«, entgegne ich im Brustton der Überzeugung.
»Auch die kleinste Kakerlake kann Brechreiz verursachen«, bemerkt er in einer seltenen Anwandlung philosophischen Denkens.
Ich beende das Gespräch und wende mich der Landschaft zu. Die Mouratoglou hat recht, wenn sie sagt, dass die asiatische Seite schöner sei. Denn hier lugen überall Holzhäuser hervor, die in verschiedenen Farben gestrichen sind - braun, hellblau oder gelb. Ich blicke nach rechts und sehe ein Gässchen, das zu einem bewaldeten kleinen Hügel hochführt. Rechterhand wird es von renovierten Holzhäusern gesäumt, linkerhand von drei- und vierstöckigen modernen Wohnblöcken, als stünden einander zwei Schlachtreihen antiker Heere gegenüber. Ich merke, wie mich Niedergeschlagenheit übermannt, da ich als Grieche weiß, dass die Betonklötze stets den Sieg davontragen.
Der Reisebus bleibt vor einem großen Ausflugslokal am Bosporusufer stehen. Es scheint die Sonne, und die Leute sitzen an den Tischchen und genießen den Ausblick.
»Das hier ist Kanlica«, kündigt die Fremdenführerin an. »Kanlica war immer schon für seinen Joghurt berühmt. Wir machen eine halbe Stunde Station, damit Sie ihn probieren können.«
»Der Joghurt von Kanlica war früher schwer zu bekommen. Jetzt kriegt man ihn in jedem Supermarkt«, bemerkt die
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