Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
zu Grabe getragen<. Wenn sie recht hat, dann muss ich das akzeptieren.«
»Haben Sie sonst noch Kinder?«
»Einen Sohn, der als Bauingenieur in Athen lebt. Aber der redet kein Wort mehr mit uns, seit seine Schwester einen Türken geheiratet hat.« Meine Taktik geht auf, denn sie holt tief Luft und sagt von sich aus: »Ich habe mich hinreißen lassen und Sie mit meinen Geschichten behelligt, während Sie sich für etwas ganz anderes interessieren.«
»Ich wollte Sie fragen, ob Sie etwas über eine Nichte der Adamoglou gehört haben, die vor kurzem bei ihr zu Besuch war.«
»Eine Cousine«, korrigiert sie mich. »Sie war die Nichte von Fofo Adamoglou.«
»Kennen Sie sie?«, frage ich und spüre, wie neue Hoffnung in mir aufkeimt.
»Nein, aber ich kenne die Geschichte in groben Zügen. Fofos Mädchenname war Lazaridou, und sie war Pontusgriechin aus dem Schwarzmeergebiet. Die Lazaridous hatten Verwandte, die im Zuge der großen Flucht vom Schwarzen Meer fortzogen und einige Jahre in Istanbul blieben. Besagte Cousine stammte aus diesem Zweig. Als ihre Familie schließlich ihr Glück in Griechenland versuchen wollte, wurde die Kleine bei Fofo Adamoglou zurückgelassen. Eines Tages war dann auch sie verschwunden. Den Großteil der Geschichte habe ich bei uns zu Hause gehört, meine Mutter und die Nachbarinnen haben darüber gesprochen. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie die Cousine hieß, müsste ich passen.«
»War ihr Name vielleicht Maria?«
»Kann sein, keine Ahnung.«
»Wissen Sie, ob die Adamoglou noch weitere Verwandte hat?«
Sie denkt kurz nach. »Ich kann mich erinnern, dass sie mir irgendwann mal erzählt hat, es gäbe da eine Cousine aus der Sippe ihrer Mutter, die in Fener wohnt, aber ich weiß weder den Namen noch, wo genau sie wohnt.«
Mehr gibt es für mich nicht zu erfahren, und ich breche auf. Es ist fast elf Uhr, und die Reisegesellschaft wollte heute die asiatische Seite des Bosporus erkunden. Das könnte ein schöner Ausflug werden, und vielleicht schaffe ich es sogar noch, daran teilzunehmen.
»Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen«, sage ich zur Iliadi.
»Gern geschehen, Herr Kommissar. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie mit meinen Geschichten behelligt habe.«
»Sie haben mich keineswegs behelligt«, erwidere ich und meine es auch so, obwohl ich mich früher zur Reisegruppe hätte gesellen können, wenn ihre Erzählung etwas weniger ausführlich gewesen wäre.
Ich rufe Adriani auf ihrem Handy an und frage sie, wo sie sind. »Diese Stefanakou kommt ständig als Letzte angetanzt«, entgegnet sie verärgert. »Wir steigen gerade erst in den Reisebus. Kannst du mir sagen, wie die es als Bankangestellte hinkriegen soll, um acht Uhr morgens auf der Matte zu stehen?«
»Hör mal, ich nehme jetzt ein Taxi und komme euch entgegen. Wo könnt ihr auf mich warten?«
»Einen Augenblick, ich frage den Fahrer.« Es folgt eine kurze Pause, und dann höre ich die Stimme der Mouratoglou. »Wir warten in Skoutari auf Sie, beim Schiffsanleger, Herr Kommissar. Dem Taxifahrer sagen Sie >Usküdar< und >Iskele<. Dann weiß er, was gemeint ist.«
Also steige ich ins Taxi und sage dem Fahrer die Adresse auf. Bei »Usküdar« verhaspele ich mich, doch »Iskele« bringe ich ganz gut heraus. Der Fahrer sagt nur »Tamam« und macht den Eindruck, als habe er mich verstanden.
Ich versuche, meine gestern und heute - und noch dazu hinter Murats Rücken - mühselig erworbenen Erkenntnisse zu ordnen. Maria Chambou vergiftet ihren Bruder mit dem Pflanzenschutzmittel E 605 in Drama und fährt daraufhin nach Istanbul, bevor der Mord der Polizei bekannt wird. Zunächst einmal verlieren sich hier ihre Spuren, bis der Leichnam ihrer Cousine Kalliopi auftaucht, die auf genau dieselbe Art und Weise ums Leben gebracht wurde wie Marias Bruder Jannis. Es handelt sich also um zwei gleichartige Mordtaten an zwei nahen Verwandten. Aber wo ist das Motiv? Sind es Verbrechen, die aus Hass geschehen? Auf den ersten Blick könnte das im Fall ihres Bruders zutreffen. Alle Zeugen stimmen darin überein, dass er sie schlecht behandelte. Folglich hat sie sich gerächt. Aber was ist mit Kalliopi Adamoglou? Welcher Hass und welche Rachegelüste sind nach so vielen Jahren immer noch so lebendig?
Eine weitere Frage stellt sich in Bezug auf die Tatwaffe. Wenn sie zweimal auf dieselbe Art und Weise mordet, kann das auf die Handschrift einer Serienmörderin
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