Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Griechen verstehen. Darin sind wir allen anderen überlegen, auch den Türken.«
»Und das wäre?«
»Billig zu kaufen und teuer zu verkaufen. Das war ihr Ding.« Ich will etwas einwenden, aber sie kommt mir zuvor: »Ich weiß, man hat Ihnen erzählt, dass sie diejenigen ausgenutzt hätte, die im Jahr '64 alles verkauften und nach Griechenland gingen. Wenn wir anfingen nachzuzählen, wie viele Istanbuler Griechen andere in der Stunde der Not über den Tisch gezogen haben, würden wir auf eine ganze Menge solcher Fälle kommen. Doch man muss auch sagen, dass diejenigen, die ihr Hab und Gut für einen Kanten Brot verkauften, sich von der Idee, in Griechenland auf Bargeld zurückgreifen zu können, in die Irre leiten ließen. Da sie Hals über Kopf wegwollten, tragen sie selbst Schuld daran, dass sie ihre Häuser für weniger als die Hälfte des Wertes verkauft haben. Man soll nicht die ganze Verantwortung einigen geldgierigen Personen wie der Adamoglou zuschieben.«
»Also stimmen Sie mit dem, was mir Herr Panajotis erzählt hat, nicht überein?«
Sie macht eine kleine Pause und meint dann, als hätte sie lange darüber philosophiert: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein, Herr Kommissar. Die Ada-moglous hatten nicht vor, aus Istanbul wegzuziehen. Folglich haben sie ihr Vermögen vermehrt. Wer kann sie dafür verurteilen?«
»Soweit ich sehen konnte, strotzte die Wohnung der Adamoglou nicht gerade vor wertvollen Schätzen.«
Zum ersten Mal muss sie lachen. »Die Adamoglous waren zur einen Hälfte Pontusgriechen und zur anderen Karamanli, also türkischsprachige Griechen aus Zentralanatolien. Die Karamanh zeigen ihren Reichtum nicht gern. Sie hätten sehen sollen, wie sie herumliefen, man hätte meinen können, sie wären im Armenhaus von Makrochori eingekleidet worden. Darin waren hier die Juden die größten Lehrmeister. Und die Karamanh waren die Juden der griechischen Orthodoxie.« Nach einer Pause fügt sie hinzu: »Gehen Sie nicht von der heutigen Situation aus, wo die Neureichen stets zeigen, was sie besitzen. Damals betrachtete man die Neureichen schlicht als vulgär.«
»Wie sehen Sie denn die Adamoglou? Offenbar denken Sie anders als Herr Panajotis.«
»Herr Panajotis hält sich für den Gralshüter des Griechentums, ganz so wie die übrigen Konstantinopler Griechen. Ich habe in so einer Gemeinschaft keinen Platz.«
»Wieso denn nicht?«, frage ich perplex.
Sie blickt mir in die Augen und sagt nahezu provokant: »Weil meine Tochter einen Türken geheiratet hat, Herr Kommissar. Anna arbeitet als Buchhalterin in einer Firma, und ihr Mann ist Rechtsanwalt dort. So haben sie sich kennengelernt.« Sie pausiert, augenscheinlich, um meine Reaktion abzuwarten, doch die Eheprobleme ihrer Tochter lassen mich kalt. Ich habe genug mit den Sorgen zu tun, die mir die Hochzeit meiner eigenen Tochter bereitet. Als sie sieht, dass ich nichts dazu sage, fährt sie fort: »Ich bin fast verrückt geworden, als sie es mir gesagt hat. Ich habe geschimpft und gejammert, aber Anna stellte sich taub. >Ich liebe ihn, und ich werde ihn heiraten<, sagte sie, und davon ist sie nicht abgerückt.«
Dann hält sie wieder inne, und ich frage mich, wie ich sie wieder zum Thema Adamoglou und Chambou zurückbringen könnte. Ich stelle fest, dass ein Gespräch mit Kon-stantinopler Griechen stets mit einem Schritt zurück beginnt. Zunächst führen sie den Zuhörer in die Vergangenheit, und dann erst kehren sie dorthin zurück, wo es sie schmerzt, nämlich in die Gegenwart. Ich versuche also, etwas Geduld aufzubringen und abzuwarten, dass sie von selbst wieder auf die Adamoglou zu sprechen kommt.
»Erol, mein Schwiegersohn, ist ein guter Junge, Herr Kommissar, ich kann mich nicht beklagen«, fährt die Iliadi fort. »Er liebt meine Tochter, und er ist ein guter Vater. Hier im Kirchensprengel kennt man ihn, denn er kommt mit Anna und den Kindern zur Auferstehungsfeier. Er trägt eine Osterkerze, macht mit beim Eierkicken, und er hat sogar gelernt, wie man auf Griechisch >Christus ist auferstanden< sagt. Er tut, was er kann, damit sich meine Tochter nicht von ihren Wurzeln abgeschnitten fühlt. Wir feiern zusammen das Osterfest und den Bayram. Und wir tun so, als wäre das normal, doch gar nichts ist normal. Aber ich weiß nicht, vielleicht hat meine Tochter recht, wenn sie sagt: >Komm zur Vernunft, Mama, das Istanbuler Griechentum ist tot, wir haben es nur noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher