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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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leicht, mich von der schönen Aussicht loszureißen. Auch mag ich meinen Mokka nicht hinunterstürzen, wie ich es zu Hause so oft tue, um nicht zu spät zur Dienststelle zu kommen. Hier fühle ich mich, anders als in Athen, zwischen Pflicht und Vergnügen hin- und hergerissen, denn hier steht mir die Möglichkeit offen, mich auch für das Vergnügen zu entscheiden.
      Der Wunsch der drei Damen, nach einem Vorschlag von Frau Kourtidou die Kirchen am Bosporus zu besuchen, bringt mich auf den Pfad der Pflichterfüllung zurück.
      »Möchten Sie mit uns kommen und unsere Kirchen bewundern, die einst aus den Nähten platzten und jetzt verrammelt und verbarrikadiert sind?«, lädt mich die Kourtidou ein.
      »Ich würde gerne mitkommen, aber ich muss das Altersheim in Baloukli besuchen.«
      Was ich an dieser Reise genieße ist, Adriani immer wieder mit offenem Mund dastehen zu sehen - eine echte Sehenswürdigkeit. Genau dieser Anblick präsentiert sich mir auch jetzt. Sie schaut mich zweifelnd an und fragt sich wohl, ob sie recht gehört hat oder ob ich vielleicht völlig durchgedreht bin.
      »Ins Altersheim?«, wundert sie sich. »Was hast du im Altersheim zu schaffen?«
      »Ich habe nicht vor, mir einen Platz zu reservieren, wenn du das meinst, sondern Informationen über den Fall Chambou zu sammeln. In dem Zusammenhang möchte ich Sie auch bitten, mir den Weg zu erklären«, sage ich zur Kourtidou.
      »Ich kann Sie hinfahren, wenn Sie möchten.« Sie wendet sich Adriani und der Mouratoglou zu. »Darf ich einen Vorschlag machen?«
      »Nur zu, liebe Aleka«, sagt die Mouratoglou. »Seit ich dich kenne, hast du immer einen Vorschlag in petto.«
      »Wir könnten heute ja die philanthropischen Einrichtungen und morgen die Kirchen der Istanbuler Griechen besuchen.«
      Na prima, denke ich, mache jedoch ein ausdrucksloses Gesicht. Denn wenn Adriani spitzkriegt, dass mir der Vorschlag sehr zupasskommt, ist sie imstande, ihr Veto einzulegen, einzig und allein, um meine Pläne zu zerschlagen.
      »Gute Idee, das wird Ihnen sehr gefallen, Frau Charitou«, setzt die Mouratoglou noch eins drauf und fegt Adrianis mögliches Nein vom Tisch.
      »Warten Sie am Eingang auf mich, ich hole den Wagen aus der Garage«, meint die Kourtidou.
      Vor der Hoteltür ist der Portier vollauf damit beschäftigt, jedem der ankommenden Gäste den Wagenschlag aufzureißen. Es hat sich schon eine Warteschlange auf der Einfahrt gebildet, doch keiner öffnet selbst die Wagentür, um auszusteigen. Alle warten geduldig, als gäbe es eine schriftliche Anweisung, die das Verlassen des Wagens vor dem Öffnen des Wagenschlags durch den Portier untersagt. Ich bin ganz in den Anblick des Schauspiels vertieft, als ich sehe, wie die Kourtidou uns aus einem beigefarbenen Mercedes heraus zuwinkt.
      Der Portier eilt herbei, um diesmal alle drei Türen zu öffnen. Die Mouratoglou und die Kourtidou bieten mir einhellig den Sitz des Beifahrers an.
      »Glückwunsch zu deinem neuen Wagen. Wann hast du ihn gekauft?«, fragt die Mouratoglou ihre Freundin.
      »Mein Sohn hat ihn aus Deutschland mitgebracht. Er hat noch das deutsche Kennzeichen.« Sie wirft mir einen schrägen Blick und ein Lächeln zu. »Es ist jetzt Mode geworden, alle Besitztümer offen zu zeigen, Herr Kommissar.«
      »War das früher nicht üblich?«
      »Wo denken Sie hin! Nach der Einführung des varlik haben wir alles, so gut es ging, verschwinden lassen, damit die Türken keinen Appetit darauf bekamen.«
      »Was heißt varlik?«, fragt Adriani.
      »Das ist die Vermögenssteuer, die Inönü im Jahr '42 erlassen hat, mitten im Krieg, um die Minderheiten auszubluten«, erläutert die Mouratoglou. »Wenn man nicht zahlen konnte, wurde zunächst der ganze Besitz gepfändet, und wenn nichts mehr zu holen war, wurden die Männer zur Zwangsarbeit ins Lager gesteckt.«
      »Und warum müssen Sie Ihren Besitz nun nicht mehr verstecken?«, fragt Adriani.
      »Weil wir nur mehr so wenige sind, dass wir nicht mehr ins Gewicht fallen. Man lässt uns heute in Frieden. Was sind schon zweitausend Leutchen in einer Stadt mit siebzehn Millionen?«
      »Es sind sogar weniger als zweitausend, die Zahlen werden geschönt«, bemerkt die Mouratoglou.
      »Das spielt doch keine Rolle, Meropi. Traurig ist vielmehr zu sehen, wer überhaupt geblieben ist.«
      »Und zwar?«
      Sie wirft mir wieder einen schrägen Blick zu, doch diesmal einen finsteren. »Die armen

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