Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
man das nicht wirklich nennen - die machen die Ermittlungen. Ich bin bloß so etwas wie ein Beobachter oder ein Verbindungsmann seitens der griechischen Polizei.«
»Wie sind wir da überhaupt hineingeraten?«
»Wir tragen den Mörder bei. Eine fast neunzigjährige Greisin hat ihren Bruder in Drama und ihre Cousine in Konstantinopel mit einem Pflanzenschutzmittel vergiftet.«
»Und was hat die türkische Polizei damit zu tun?«
»Die Mörderin hält sich hier auf, und die zweite Tat ist ebenfalls hier begangen worden.«
Er schweigt einen Augenblick lang und blickt mich an. »Mit den Türken ist höchste Vorsicht geboten. Sie stellen sich freundlich und geben sich herzlich, aber: >Fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen.< Die können einem jederzeit ein Bein stellen.«
Trotz meines Misstrauens gegen Murat und seinen Vorgesetzten, den Brigadekommandeur, kann ich sie mir nur schwer als Danaer und noch schwerer mit Geschenken vorstellen. Daher geht mir der General langsam auf den Wecker, und ich frage mich, was mich mehr aufregt: sein Patriotismus, den er bei jeder Gelegenheit hochleben lässt, oder die Tatsache, dass er mich für einen blutigen Anfänger hält, der seine Anleitung benötigt. Aber ich lasse fünf gerade sein, damit wir nicht am letzten Tag noch Ärger miteinander bekommen, und versuche meinen Anteil an den Ermittlungen herunterzuspielen.
»Machen Sie sich keine Sorgen, es ist ein Routinefall. Dabei spielen weder die griechisch-türkischen Spannungen noch die Lage in der Ägäis oder das Zypernproblem eine Rolle. Wir sind einfach in Kontakt mit den türkischen Behörden, sozusagen aus Taktgefühl, um unser Interesse an den Nachforschungen zu dokumentieren.«
»Sie unterschätzen die Türken«, beharrt er. »Sie tun alles, um einen zu verwirren und dumm dastehen zu lassen. Bei den militärischen Übungen haben sie dauernd eigenmächtig den Manöverplan geändert, um uns aus dem Konzept zu bringen und zu Fehlern zu verleiten. Wir haben uns bei den Amerikanern beschwert, aber die haben uns mit einem >Never mind< abgespeist und die Kümmeltürken ihre Spielchen spielen lassen. Deshalb sage ich Ihnen: Lieber alles doppelt gegenprüfen, was auch immer sie Ihnen auftischen.«
Zum Glück sehe ich in diesem Moment den Streifenwagen in die Straße einbiegen und vor dem Hotel vorfahren. Ich bedeute dem Fahrer, auf mich zu warten. Denn ich möchte Despotopoulos gegenüber nicht unhöflich erscheinen, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass mir seine Ermahnungen von Nutzen sein werden.
»Herzlichen Dank, Herr General, Sie haben mir die Augen geöffnet«, sage ich zu ihm und bemühe mich, jegliche Ironie aus meinen Worten zu tilgen. »Über eine Sache wundere ich mich jedoch: Warum haben Sie mich vor das Hotel gebeten, um mir das zu erzählen?«
Er beugt sich vor und sagt vertraulich: »Weil die alle Griechisch können, sich aber dumm stellen, um uns auszuspionieren.«
Ich entferne mich kommentarlos und kehre noch mal zu Adriani zurück, um ihr Bescheid zu geben, dass ich ein Stündchen weg sein werde. Es wird mit Sicherheit länger dauern, aber eine kurze Zeitangabe in Verbindung mit dem verniedlichenden Ausdruck »Stündchen« bewahrt mich vielleicht vor giftigen Kommentaren. Zu meiner großen Überraschung erhalte ich nur ein kurzes »Schon gut« zur Antwort, und sie hebt nicht einmal den Kopf von ihren Notizen, während die anderen beiden mich keines Blickes würdigen.
Der Beamte öffnet mir den Wagenschlag zum Rücksitz des Streifenwagens und bittet mich schräg hinter dem Fahrersitz auf den Platz für offizielle Würdenträger. Dann schlägt er den bekannten Weg zur Atatürk-Brücke ein. Ich male mir schon aus, wie wir an der gegenüberliegenden Seite der Brücke wieder in den tagtäglichen Stau geraten werden, als der Fahrer die Sirene einschaltet und Gas gibt. Wagen und Busse halten auf der Stelle an und lassen uns vorbei. So etwas sollte theoretisch auch bei uns gelten, doch die griechischen Autofahrer haben sowohl die Straßenverkehrsregeln als auch uns, die Polizei, längst abgeschrieben.
»Mr. Murat is waiting for me}«, frage ich den Fahrer, um ein wenig Konversation zu treiben.
Er antwortet mir mit einem »Efendim?«, worauf jedes Gespräch erstirbt.
Ein Glück, dass der Fahrer das Martinshorn seine ohrenbetäubende Arbeit tun lässt, so dass wir zehn Minuten später im Polizeipräsidium eintreffen.
Murat
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