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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Ihnen beiden oder auch jemand anderer aus dem Altersheim eine gewisse Maria Chambou? Sie stammt aus Istanbul und war, bevor sie nach Griechenland ging, kurzfristig hier. Die letzten Jahre hat sie bei ihrem Bruder in Drama gelebt. Sie muss in Ihrem Alter sein, eventuell auch ein wenig älter.«
      »Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?«, meint Kere-moglou mit der Hornbrille ä la Onassis. »Niemand ist älter als wir beide. Wir sind die wertvollsten Antiquitäten hier.«
      »Okay, ich nehme es zurück«, entgegne ich, obwohl meine Geduld nur mehr an einem seidenen Faden hängt. »Maria Chambou ist Ihnen bekannt?«
      »Chambena. Wir nennen sie Chambena«, mümmelt Sefertzidis.
      »Sie ist Ihnen bekannt?«
      »Na freilich. Sie war doch erst vor ein paar Tagen hier«, verkündet Keremoglou. »Vielleicht auch vor einer Woche. Präzision darf man von unseren Greisenhirnen nicht mehr erwarten.«
      »Wo? Im Altersheim?«
      »Ja, sie wollte ihre Schwägerin, die Safo, besuchen.«
      »Die Schwester ihres Mannes?«
      »Wenn sie ihre Schwägerin ist, dann muss sie die Schwester ihres Mannes sein, was denn sonst? Heißt das bei euch in Griechenland anders?«, wundert sich Sefertzidis.
      Mit Freuden schlucke ich Sefertzidis' spöttische Antwort auf meine dämliche Frage hinunter, weil sich vor mir neue Horizonte auftun. »Wohnt ihre Schwägerin hier?«
      »Ja, hier nebenan«, ergreift Keremoglou wieder das Wort. »Die eine Hälfte ist hier untergebracht, die andere nebenan. Aber so nach und nach werden wir alle dort landen.«
      »Was ist denn nebenan? Ein neuer Gebäudeflügel?«
      »Nein, der Friedhof.«
      »Sie ist gestorben?« Das war's. Jetzt, so sage ich mir, kommt mir auch noch das letzte Bindeglied abhanden, das mich zur Chambou hätte führen können.
      »Vor einem Jahr«, präzisiert Keremoglou.
      »Die Ärmste«, ergänzt Sefertzidis.
      Keremoglou geht ihm fast an die Gurgel. »Warum denn Ärmste, he?«, fragt er außer sich. »Von uns ist keiner arm dran. Unglücklich vielleicht, hängengelassen ja, aber arm dran nein. Ein Mensch, der unser Alter erreicht hat, ist nicht arm dran.« Dann wendet er sich mir zu: »Der sagt zu jedem >der Ärmste<. Wenn morgen der eigenbrötlerische Ousounoglou im Lotto gewinnt, der mit keinem ein Wort redet und dir ins Gesicht springt, wenn du ihn nur ansprichst, sagt er auch sofort: >Der Ärmste! Ousounoglou, der Ärmste!< Können Sie das verstehen?«
      »Sie ist am Dünnpfiff gestorben«, sagt Sefertzidis, ohne den anderen zu beachten. »Sie ist einfach ausgetrocknet. Du wirst sehen, so werde ich auch noch enden. In der letzten Zeit habe ich fünfmal am Tag Stuhlgang.«
      »Weil du kein Gebiss trägst und nur Suppen und Joghurt isst. Die Ärzte sagen dir, du sollst feste Nahrung zu dir nehmen, aber du bist ja dein eigener Quacksalber...« Und dann, wieder an mich gerichtet: »Immer tut der Querkopf, was er will. Bald wird er Rezepte ausstellen und sich selber die Medikamente verschreiben.«
      »Wann ist die Chambou hergekommen?«, frage ich, weil ich schon merke, dass sich meine Frustration gleich Luft machen wird.
      Sefertzidis meint: »Vorgestern war's. Also am Dienstag. Jedenfalls war sie ganz untröstlich, als sie von Safos Tod erfahren hat. >Ich bin zu spät gekommen<, hat sie gesagt.«
      Wozu war sie zu spät gekommen? Um sie zu töten? War sie ihr weggestorben, bevor sie zum Gift greifen konnte? Irgendetwas an diesem Gedankengang will mir nicht in den Kopf. Eine Greisin als eiskalte Mörderin - das kann ich mir einfach nicht vorstellen.
      »Safo hätte sich gefreut, wenn sie rechtzeitig gekommen wäre«, bemerkt Keremoglou. »Immer wieder hat sie von ihr erzählt. Obwohl sie zu Lebzeiten gar nicht gut aufeinander zu sprechen waren, wie die Verstorbene sagte. Sie sei nicht besonders beliebt gewesen, weil sie niemandem nach dem Mund geredet habe, hat sie uns erzählt. Jedem habe sie die Wahrheit ins Gesicht gesagt. Auch ihrem Bruder, dem Faulpelz, der offensichtlich den lieben langen Tag - beim Aufwachen, bei der Arbeit und beim Schlafengehen - den Douziko unterm Arm hielt. Mit ihrer Schwägerin schimpfte sie und bezeichnete sie als verrücktes Huhn, da sie ihm nicht den Laufpass gab, obwohl er sie noch irgendwann zum Krüppel schlagen würde: entweder aus Bosheit oder im Suff. Und obwohl die Chambena nicht auf sie hörte, ja sie nicht einmal zur Beerdigung des Bruders zuließ, hat die Safo immer gesagt, sie trage ihr

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