Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Schlucker, die nicht weg können, weil sie nicht mal das Busticket nach Griechenland bezahlen können, und die Schwerreichen, die nicht weg können, weil sie zu viel aufgeben müssten. Wir haben unseren Sohn ins Ausland geschickt, er hat Ingenieurwesen in Aachen studiert und betreibt jetzt ein Planungsbüro in Frankfurt, wir haben unsere Tochter ins Ausland geschickt, und sie hat einen Kanadier geheiratet und lebt heute in Toronto. Doch unsere Häuser, Wohnungen und unser Geschäft können wir nicht ins Ausland verlegen, also bleiben wir hier und passen darauf auf.«
»Das tun Sie Ihren Kindern zuliebe«, meint Adriani entschieden, mit all ihrem mütterlichen Sendungsbewusstsein.
»Unsere Kinder werden alles so schnell wie möglich verkaufen, weil sie keine Beziehung zur Wohnung in Cihangir, zu den beiden Läden in Pera und Ayaz Pasa und zum Landhaus auf Antigoni mehr haben. Doch für uns lebt in diesen Häusern noch die Erinnerung an unsere Eltern und an unsere Großeltern weiter, hier haben wir uns verlobt, hier haben wir Hochzeit gefeiert...«
»Komm schon, jetzt dramatisierst du das Ganze aber, Aleka«, unterbricht sie die Mouratoglou mit kaum verhohlenem Ärger. »Ihr seid deshalb nicht weggegangen, weil dein Mann nicht wegwollte. Im einen Jahr sagte er: >Bleiben wir noch ein wenig, die Geschäfte gehen gut<, im nächsten bekam er keinen guten Preis für seine Immobilien. So sind die Jahre ins Land gezogen, und irgendwann waren alle fort. Nur ihr habt den Absprung nicht geschafft.«
»Meropi, ihr hattet nur ein Appartement in Elmadag zu verkaufen. Fraglos ein schönes und geräumiges Appartement, aber eben nur eines. Und ihr hattet vorgesorgt, indem ihr vorher schon eine Wohnung in Kalamaki in Athen gekauft hattet. Wie aber hätten wir unsere zwei Kinder im Ausland studieren lassen können, wenn wir hier alles aufgegeben hätten?«
»Das stimmt schon, aber es ist nur die halbe Wahrheit«, entgegnet Meropi nach kurzem Nachdenken. »Denn es gibt eine ganz einfache Erklärung.«
»Und die wäre?«, fragt die Kourtidou.
»Ihr seid hier tiefer verwurzelt. Wir konnten alle Zelte abbrechen. Ihr konntet euch kein Leben außerhalb von Istanbul vorstellen.«
Ich sehe, wie die Kourtidou kurzfristig die Herrschaft über den Mercedes verliert und Gefahr läuft, das Taxi neben uns zu streifen, einen schrottreifen Fiat türkischer Provenienz und Bruder im Geiste meines Mirafiori. Instinktiv reiße ich vom Beifahrersitz aus das Steuer nach rechts, während der Taxifahrer die Scheibe herunterkurbelt und beginnt, wie ein Rohrspatz zu schimpfen.
Die Kourtidou schafft es, den Mercedes neben der Bordsteinkante zum Stehen zu bringen, danach stellt sie den Motor ab, lässt sich kopfüber auf das Lenkrad sinken und beginnt zu schluchzen. Alle starren wir sie sprachlos an.
»Aleka, was ist los?«, fragt die Mouratoglou, aber ihre Freundin bleibt ihr die Antwort schuldig.
Der Taxifahrer, der sie gerade eben noch verflucht hat, hat die Szene anscheinend über den Rückspiegel verfolgt, denn er parkt vor uns, öffnet die Wagentür und kommt auf uns zu. Er spricht eindringlich und offensichtlich besorgt auf die Kourtidou ein, wobei er immer wieder das Wort »abla« sagt, dessen Bedeutung ich nicht kenne.
Die Kourtidou antwortet ihm mit einem »Yok... yok...« und mit »Tesekkür«, von dem ich inzwischen weiß, dass es »Danke« bedeutet. Der Taxifahrer entfernt sich, während die Mouratoglou ihre Frage wiederholt.
»Aleka, was ist los?«
Die Kourtidou wischt sich die Tränen ab und versucht sich zu beruhigen. »Pardon, ich wollte euch nicht erschrecken, aber deine Worte haben mich getroffen.« Sie wendet sich zu mir: »Meropi hat recht. Ich kann hier nicht fort. Theodossis, mein Mann, hat immer wieder daran gedacht, alles aufzulösen, aber ich habe jedes Mal widersprochen. Einmal im Jahr besuche ich meine Kinder. In Toronto ist es eiskalt, in Frankfurt ist das Wetter zum Heulen. Jetzt werden Sie sagen, auch in Istanbul ist es oft feucht und regnerisch. Richtig, aber Istanbul wird bei Regen noch schöner.«
Sie macht eine kleine Pause und sieht die Verwunderung in unseren Blicken. »Na ja, das ist jetzt vielleicht gelogen«, verbessert sie sich. »Es ist etwas anderes. Ich glaube, ich würde schon am Flughafen zusammenbrechen, wenn ich wüsste, ich müsste hier für immer fort.« Sie lässt den Motor des Mercedes wieder an und löst sich langsam von der
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