Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
drei Monate, und selbst dann hätten wir noch nicht alle eruiert. Der einfachste Weg wäre, die Personen ausfindig zu machen, die Maria Chambou von damals noch kennen.«
»Und wie sollen wir die unter fünfzehn Millionen ausfindig machen?«, wundere ich mich.
»Neunzig werden aber nicht viele«, sagt der stellvertretende Amtsleiter. »Die meisten werden jetzt im Altersheim sein.«
»Und es gibt nur ein einziges griechisches Altersheim«, ergänzt Murat. »In Balikli. Dort müssen wir ansetzen.«
»Deshalb haben wir Sie heute hierher eingeladen«, rückt schließlich der stellvertretende Leiter mit der Sprache heraus. »Wir möchten, dass Sie in das Altersheim von Balikli fahren. Wenn wir hingehen, kriegen wir gar nichts heraus. Ihnen wird es leichter fallen, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.«
Despotopoulos würde jetzt Alarm schlagen und eine ganz böse Falle hinter diesem Plan vermuten. Doch nun erinnere ich mich plötzlich wieder daran, dass Vassiliadis mir erzählt hat, dass die Chambou eine Zeitlang im Altersheim von Baloukli gewohnt hat, und ich könnte mich ohrfeigen. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Altersheim höchste Priorität hat, sondern etwas anderes.
»Sie haben recht«, sage ich zum stellvertretenden Amtsleiter. »Aber ich würde es vorziehen, zunächst einmal die Wohnung ihrer Schwägerin ausfindig zu machen. Bis wir nach Baloukli gefahren sind, könnte die Chambou schon wieder zugeschlagen haben.«
»Dann verlieren wir besser keine Zeit«, entgegnet er. »Sie fahren nach Balikli, und um die Verwandte kümmern wir uns, obwohl ich nicht glaube, dass wir sie so einfach finden werden.«
Als wir ein paar Minuten später aus dem Büro des stellvertretenden Amtsleiters treten, frage ich Murat: »Was hat er zu Ihnen auf Türkisch gesagt?«
»Er hat gesagt, dass ich nicht viel über die griechische Minderheit weiß, weil ich Deutscher bin. Daher sollte ich ihm die Ausführungen überlassen.«
»Jedenfalls zählt bei euch die Hierarchie mehr als bei uns. Ich habe gesehen, wie Sie abgewartet haben, bis er zu Ende geredet hat.«
Er lacht auf. »Wissen Sie, wie lange ich dafür gebraucht habe? In Deutschland sagt jeder frei seine Meinung. Hier hat der Vorgesetzte immer das erste Wort.«
Gut, dass Gikas das nicht mitkriegt, sonst käme er womöglich noch auf den Geschmack.
* 15
Der Flohmarkt im Hotel ist vorbei. Kleider, Goldschmuck und Schals sind wieder in den Taschen verschwunden, die Teilnehmer der Reisegruppe haben das Feld geräumt, und die Rezeption ist zum gemächlichen Alltag zurückgekehrt.
»Your wife is in the roof garden of Marmara Hotel«, sagt die junge Frau an der Rezeption, die immer ein Lächeln auf den Lippen hat und mit der mich eine gegenseitige Sympathie verbindet.
»Where is the Marmara Hotel?«
»The big hotel on Taksim Square«, erklärt sie mir, und nun fällt mir das große Gebäude ein, das direkt gegenüberliegt, wenn ich von der Straße, in der unser Hotel liegt, auf den Taksim-Platz trete.
Das Wetter ist trübe, die Straßen sind nass, doch es regnet nicht. Im Hotel muss ich zunächst durch eine Sicherheitskontrolle, bevor ich ins Innere vordringen darf. Ich fahre in die letzte Etage hoch und finde die drei Damen beim Kaffee vor. Der Bosporus liegt ihnen wie eine spiegelglatte Fläche zu Füßen. »Komm, genieß einen Mokka mit Ausblick«, sagt Adriani.
»Wieso seid ihr nicht mit der restlichen Gruppe unterwegs?«
»Sie waren ganz wild darauf, noch einmal einkaufen zu gehen, und darauf hatten wir keine Lust.«
»Ganz zu schweigen davon, dass sie versuchen, alles zu einem Drittel des Preises zu kriegen, weil ihnen gesagt wurde, sie müssten unbedingt handeln. Da muss man sich ja genieren!«, ergänzt die Mouratoglou.
Ich bestelle einen mittelstark gesüßten Mokka. Er wird mir auf einem Kupfertablett serviert, wobei ihn der Kellner so elegant aus dem Kännchen in die Tasse einschenkt, dass ich mir vorkomme, als wäre ich an einem Empfang beim griechischen Staatspräsidenten. Diese höfliche und zuvorkommende Art der Türken wird sich vermutlich negativ auf meine Alltagsroutine auswirken, da es mir schwerfallen wird, mich bei meiner Rückkehr wieder an das in Zellophan gehüllte Croissant und den zum Espresso pervertierten griechischen Mokka unserer Kantine zu gewöhnen.
Ich muss mich auf den Weg zum Altersheim von Baloukli machen, doch es fällt mir nicht
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