Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Etage. Bei den Klingelschildern suche ich nach dem Namen »Murat Saglam« und werde auch gleich fündig, wobei unter dem Namen die Zahl vier und daneben das Wort »kat« stehen. Dann drücke ich auf die Klingel, und die Tür springt sofort auf.
Murat empfängt uns in Hemd und Strickjacke. Da bereue ich, dass ich mich in Anzug und Krawatte geworfen habe, doch dann denke ich, dass wir in der Fremde zu Besuch sind und ein förmliches Auftreten vermutlich zu unseren Gunsten spricht.
»My wife«, sage ich zu Murat und stelle ihm Adriani vor. Murat sagt »Welcome« auf Englisch, Adriani »Sehr erfreut« auf Griechisch, und damit ist die Vorstellungsrunde beendet. Murat führt uns ins Innere der Wohnung, und ich frage mich schon, wann wohl seine Frau erscheinen wird. Das Rätsel löst sich, als wir das Wohnzimmer betreten. Dort erwartet uns eine fünfunddreißigjährige Schönheit - dunkelhaarig, schlank, mittelgroß, mit pechschwarzen und leicht schrägstehenden Augen. Wenn sie lächelt, so wie jetzt bei unserem Eintreten, zeigen sich in ihren Wangen zwei kleine Grübchen. Das Einzige, was nicht ganz ins Bild passt, ist das Tuch, das ihren Kopf verhüllt. Obgleich es aus Seide, geschmackvoll und sorgfältig um das Haar drapiert ist, ist es dennoch in jedem Fall ein Kopftuch.
»Ich möchte Sie ersuchen, meiner Frau nicht die Hand zu geben«, wispert mir Murat zu. »Ihre Religion verbietet es ihr.«
»Good evening, Vin Nermin«, stellt sie sich vor und drückt Adriani die Hand, während ich und sie eine leichte Verbeugung andeuten, wobei sie auf Türkisch zu mir sagt: Ho geldiniz.« Gleich bei ihren ersten Worten wird mir klar, dass ihre englischen Sprachkenntnisse den meinen und denen ihres Mannes Lichtjahre voraus sind, was sich bestätigt, sobald wir zu den Förmlichkeiten übergehen: Gefällt Ihnen Istanbul? Wo sind Sie überall gewesen? Haben Sie die Prinzeninseln und die Museen besucht?
Adrianis Verlegenheit ist offensichtlich, und sie flüchtet sich in ein Dauerlächeln, das ihr Rückhalt verleiht wie ein Stützkorsett, das man gegen Rückenbeschwerden trägt. Mir wird bewusst, dass der Löwenanteil der Konversation auf mich fallen wird, doch nur, was die griechischen Teilnehmer betrifft, denn ansonsten beherrscht Nermin die Diskussion, während ich mich darauf beschränke, Adriani ein paar Brosamen zu übersetzen, und sie sich darauf beschränkt, freundlich dazu zu nicken.
Nach ein paar Minuten habe ich erfahren, dass sie einen Abschluss im Fach Computergraphik in Deutschland gemacht hat und nun in einem großen Unternehmen als Leiterin der it-Abteilung arbeitet, dass sie hier zwar weniger gut verdient als in Deutschland, jedoch bessere und raschere Aufstiegsmöglichkeiten hat. All das erzählt sie mir vollkommen locker gleich am Anfang unserer Bekanntschaft, während ich heimlich Murat mustere. Er muss die Geschichte seiner Frau in- und auswendig kennen, dennoch hört er mit Interesse und heimlichem Stolz zu. Das kommt wohl noch aus seiner Zeit in Deutschland. Ein griechischer Bulle wäre - wie vermutlich auch sein türkisches Pendant - eher stolz auf die Kochkünste als auf den beruflichen Werdegang seiner Ehefrau.
Nach einer halben Stunde erhebt sich Nermin und lädt uns ein, ins Esszimmer hinüberzukommen. Ich bin beeindruckt, dass in Istanbul die Wohnungen noch ein eigenes Speisezimmer aufweisen, was bei uns seit Jahrzehnten nicht mehr üblich ist. Was mich außerdem beeindruckt, ist die moderne Wohnungseinrichtung, eine Kombination aus Aluminium, Plexiglas und Stehleuchten, die vielleicht zum Geschmack einer Computerfachfrau, aber weniger zu einem Bullen passt, dessen Frau noch dazu Kopftuch trägt.
Am Esstisch finden sechs Personen Platz, doch nur für vier ist gedeckt. Der erste Gang stellt im Hinblick auf Istanbuler kulinarische Gewohnheiten eine Überraschung dar: Lachs mit Spargel. Auf dem Tisch stehen Weißwein und Bier.
»What would you like to drink?«, fragt mich Murat. »Wine or beer?«
Ich entscheide mich für Wein, während Adriani und Murat Bier den Vorzug geben. Nermin trinkt alkoholfreies Bier.
»Meine Frau trinkt keinen Alkohol. Das verbietet ihre Religion«, erklärt mir Murat.
»Das macht nichts. Es ist ohnehin besser für die Gesundheit.« Zum zweiten Mal stelle ich fest, dass er über die religiösen Anschauungen seiner Frau in distanzierter Weise spricht, als teile er sie nicht.
»Sie wundern sich über mein Kopftuch, doch Sie
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