Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
möchten es sich nicht anmerken lassen, am I right?«, fragt Nermin lachend. »Oder, besser gesagt, Sie fragen sich, wie eine Frau, die Computergraphik in Deutschland studiert hat, Deutsch und Englisch spricht und in einem großen Unternehmen arbeitet, Kopftuch tragen kann.«
Sie hat mich in die Enge getrieben, und ich versuche mich aus der Affäre zu ziehen, indem ich Adriani, die mich neugierig anblickt, nichts übersetze, um sie nicht in dieselbe Verlegenheit zu stürzen. Da springt mir Murat helfend bei.
»Verstehen Sie jetzt, was ich Ihnen vorgestern über Minderheiten erzählt habe? Das Kopftuch meiner Frau war der Auslöser, warum wir aus Deutschland weggegangen sind. Eines Nachmittags tauchte sie zu Hause mit verhülltem Kopf auf und verkündete mir, sie würde von jetzt an Kopftuch tragen. Ich traute meinen Augen nicht und wusste nicht, was ich sagen sollte. Nermin war nie religiös gewesen. Wie war sie plötzlich auf diese Idee gekommen? Ich versuchte, mit ihr darüber zu diskutieren und sie davon abzubringen, aber sie war unbeugsam. >Das ist mein Kopf und auch meine Entscheidung, ob ich mit oder ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit gehe<, sagte sie zu mir. >Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig.< Begreifen Sie, was das für mich bedeutet hat? Ein deutscher Polizeibeamter mit einer Frau, die Kopftuch trägt? Wissen Sie, in Deutschland legt man das Kopftuch dem Einfluss des Vaters oder des Ehemanns zur Last. Der unterdrücke seine Tochter oder seine Frau, der zwinge sie dazu. Wie sollte ich da jemandem erklären, dass es Nermins eigener Entschluss war und ich ihr nicht vorschreiben konnte, es wieder abzulegen? Ganz im Gegenteil, ich musste ihr das Recht zugestehen, nach ihrem Gutdünken in der Öffentlichkeit aufzutreten. So haben wir immer gelebt: im gegenseitigen Respekt. Wir sind ein türkisches Paar mit deutschen Grundsätzen. Als wir eines Abends aus dem Kino kamen, haben wir zufällig einen meiner deutschen Kollegen getroffen. Am nächsten Tag fing man auf der Polizeiwache an, mich schief anzuschauen. Einer fragte mich ironisch, ob ich vorhätte, mir einen Bart wachsen zu lassen. Da wurde mir klar, dass ich entweder meinen Beruf wechseln oder Deutschland verlassen musste. Nach Absprache mit Nermin sind wir zum Entschluss gekommen, die zweite Lösung zu wählen.«
Ich übersetze Adriani die Geschichte in groben Zügen, worauf sich Schweigen breitmacht. Allerdings scheinen vor allem Adriani und ich befangen zu sein, denn Nermin beobachtet uns offenbar amüsiert.
»Das ist gar kein Problem, wir sprechen offen mit unseren Freunden darüber«, erklärt sie uns. »Übrigens war eine Griechin der Grund, warum ich mich für das Kopftuch entschieden habe.«
»Eine Griechin?«, fragt mich Adriani verdutzt.
»Ja. Einen Augenblick, ich bringe das Essen, und dann erkläre ich es Ihnen.«
Sie bedeutet Murat, mit ihr zu kommen, und sie lassen uns kurz allein. »Stört es dich, dass sie Kopftuch trägt?«, frage ich Adriani.
»Warum sollte es mich stören? Ist deine Mutter auf dem Dorf je ohne Kopftuch außer Haus gegangen? Meine jedenfalls nicht.«
Das Ehepaar tritt mit zwei Servierplatten ein. Auf der einen liegen Fleischrouladen und auf der anderen Kartoffeln und anscheinend Rotkohl. Nermin übernimmt das Servieren.
»An meiner ersten Arbeitsstelle hatte ich eine griechische Kollegin«, erzählt sie, als sie fertig aufgetragen hat, und nimmt Platz. »Sie war das Kind von Gastarbeitern und in Deutschland geboren. Eines Mittags haben wir zusammen gegessen, und sie hat mir eine Geschichte erzählt. Ihre Großmutter hatte als politischer Flüchtling lange Jahre in Moskau gelebt. Eines Tages kam eine russische Nachbarin zu ihr nach Hause, ganz verheult und völlig aus dem Häuschen. Als sie fragte, was denn los sei, antwortete sie, es sei etwas Furchtbares passiert. Ihr Sohn Sergej habe sich taufen lassen. Er würde also nicht studieren können, keine gute Arbeit finden und in der Sowjetunion wie ein Aussätziger behandelt werden. Und das Verrückte war: Er hatte es nicht aus Frömmigkeit getan, sondern aus Widerstand gegen das Regime. Als ich diese Geschichte gehört hatte, kaufte ich mir noch am selben Abend nach der Arbeit ein Kopftuch und legte es an. Seit damals habe ich es nie mehr abgelegt. Fragen Sie mich nicht, ob ich es aufgrund des Glaubens trage oder aus Widerstand. Ich könnte es Ihnen nicht sagen. Und das hat jetzt auch keine Bedeutung mehr.«
»In
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