Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
vierundzwanzig Stunden klärt, erübrigt sich meine Anwesenheit vor Ort ohnehin. Wie lange soll ich der Chambou denn noch nachjagen? Früher oder später wird Murat notgedrungen alleine weitermachen müssen. Und wenn er sie schnappt, wird sich unser Konsulat um alles Weitere kümmern. Da ist es doch durchaus erfreulich, dass die griechische Polizei die zusätzlichen Reisekosten von mir und meinem Eheweib übernimmt, ohne dass ich im Gegenzug unangenehmen Pflichten nachkommen muss.
»Schauen wir erst mal, wie sich die Sache entwickelt, und reden in ein paar Tagen weiter«, sage ich und verbanne ihn damit in die Warteschleife.
Als ich in den Frühstücksraum hinuntergehe, schwanke ich zwischen zwei Stimmungen: Aufgrund von Gikas' spendablem Geschenk könnte ich guter Dinge sein, aufgrund des morgendlichen Telefonterrors sind meine Nerven jedoch zum Zerreißen gespannt. Nach wie vor greife ich zum Sesamkringel mit Hartkäse, dazu bestelle ich den bewährten mittelsüßen Mokka, doch seit der Abfahrt unserer Reisegruppe fühle ich mich beim Frühstück irgendwie seltsam. Adriani und ich sitzen einander gegenüber und kauen wortlos vor uns hin, während ein babelsches Tohuwabohu von Sprachen - Türkisch, Französisch, Deutsch und Russisch - an unsere Ohren dringt.
Ich erzähle ihr von Gikas' Anruf und seinem entgegenkommenden Angebot, unsere Aufenthaltskosten zu übernehmen. »So kommst du in den Genuss der Gastfreundschaft der griechischen Polizei«, lache ich.
»Das sollte dir eine Lehre sein!«, ist ihre trockene Antwort.
»Mir? Wieso?«
»Du weißt nicht, was du wert bist, lieber Kostas. Sowie du mit dem Fuß aufstampfst, gibt Gikas klein bei, weil ihm klar ist, dass er es ohne dich nicht hinkriegt. Du nützt das aber nicht aus, weil es dir an Selbstvertrauen mangelt.«
Ich stehe kurz davor, aus der Haut zu fahren. Sie hat es geschafft, mir mein bisschen gute Laune ganz zu verderben, und mir bleibt nur noch meine Verdrießlichkeit. Ich weiß sehr wohl, dass Gikas mich braucht, doch andererseits habe ich ihn mindestens genauso nötig. Denn - Holz anfassen - sollte ich je in eine andere Abteilung versetzt werden, würde mich mein neuer Chef vermutlich kaum so wie Gikas meinen Kopf durchsetzen lassen. Okay, vielleicht gibt mir Gikas aus Eigennutz freie Hand, doch wer sagt mir, dass auch der neue Chef wüsste, was ihm nützt? Deshalb finden ich und Gikas immer einen gemeinsamen Nenner, weil wir trotz unseres Gegrummels beide wissen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Und diese Abhängigkeit ist nicht einseitig, sondern gegenseitig.
»Entschuldigung, kommen Sie aus Griechenland?«
Die Frau, die uns diese Frage stellt, ist eine vollschlanke Fünfzigjährige, die Jeans, eine rote Jacke, silberfarbene Sportschuhe und den Inhalt einer ganzen Schmuckvitrine an ihren zehn Fingern trägt.
»Ja«, entgegnet ihr Adriani.
»Sind Sie schon länger hier?«
»Fast zwei Wochen.«
»Entschuldigen Sie meine aufdringliche Frage, aber kennen Sie vielleicht ein gutes Lederwarengeschäft?« Sie merkt, dass wir überrascht auf ihre Frage reagieren, und so liefert sie uns die nötigen Erläuterungen. »Wir sind gestern mit dem Reisebus aus Thessaloniki angekommen, und ein Besuch in einem Lederwarengeschäft ist natürlich auch in unserer Gruppenreise vorgesehen, nur verstehen Sie, die Fremdenführer kriegen von den Geschäften Prozente, und ich weiß überhaupt nicht, wo sie uns hinführen werden. Deshalb wollte ich fragen, ob Sie möglicherweise...«
»Also«, meint Adriani zurückhaltend, »wir haben für unseren Schwiegersohn etwas gekauft, aber uns hat eine Bekannte hingeführt, und ich habe keine Ahnung mehr, wo dieses Geschäft liegt.«
»Könnte Ihre Freundin vielleicht...«
»Leider ist sie schon wieder in Athen. Sie ist vor uns abgereist«, wimmelt Adriani sie ab, da sie ihre Istanbuler Informantin nicht preisgeben möchte.
»Alles klar. Vielen Dank jedenfalls...« Der Dame steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, und sie kehrt an ihren Tisch zurück, um die restliche Reisegruppe zu informieren. »Ich werde trotzdem auf eigene Faust ein Geschäft suchen. Dieser Betrüger wird an mir nichts verdienen«, erklärt eine entrüstete Frauenstimme.
»Nicht zu fassen, kommen die nur auf Schnäppchenjagd nach Istanbul, um günstige Lederwaren einzukaufen?«, frage ich Adriani.
»Hundertmal besser, als auf Verbrecherjagd zu gehen«, wirft
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