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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
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paarmal mit der Rolltreppe hinauf- und wieder hinuntergefahren, und ich hatte sogar auch an den anderen Ausgängen nach ihm gesucht. Aber es war keine Spur von ihm zu entdecken gewesen.
    Endlich, nach zwei Stunden, als ich mir vor lauter Nervosität den Lippenstift längst abgelutscht hatte und von so vielen Männern angequatscht worden war, dass ich am liebsten eine Pistole gezogen und die Mistkerle erschossen hätte, gab ich auf. Gerade als ich schwungvoll die Wohnungstür aufstieß, sie so heftig gegen die Wand krachen ließ, dass eine Delle zurückblieb, klingelte das Telefon wieder. ich hatte es schon auf dem Weg durch den Vorgarten gehört und dann wieder im Flur, als ich den zweiten Stock erreichte. Inzwischen tat ich mir jedoch selbst so leid, dass ich keine Lust hatte hinzulaufen.
    Lass ihn schmoren! Offenbar hatte er mich vollkommen vergessen.
    Doch Marcs Stimme am anderen ende, die in den Hörer brüllte, um den Lärm der Feiernden im Hintergrund zu übertönen, sprach bände. »wo warst du denn bloß, Annie?«
    »Ich habe auf dich gewartet, wie du mir gesagt hast - unten an der Rolltreppe, am Metro-Ausgang.«
    »Non!« Er musste brüllen, weil die Leute um ihn herum anfingen »Bon anniversaire, Annie!« zu singen. »Oben an der Rolltreppe, habe ich doch gesagt, en haut! Am Ausgang zu Les Halles, Annie!«
    Und da dämmerte es mir. Ich hatte en haut und en bas verwechselt. Oben und unten, so wie ich auch à droite und à gauche, rechts und links, dauernd durcheinanderbrachte. Selbst in meiner Muttersprache Englisch verwechselte ich die Seiten - das war auch der Grund, warum ich Straßenkarten nicht lesen konnte. Und jetzt hatte ich die eigens für mich organisierte Überraschungsparty in der neuen Bar verpasst.
    »Du bist ein Schaf, Annie MacIntyre!«, hörte ich Beattie irgendwo aus der Menge rufen.
    Wie konnten wir uns da noch länger böse sein? Damals war das nur Geplänkel zwischen Liebenden, und ein Kuss reichte aus, um sich wieder zu versöhnen.

18
 
    D amals in Lherm stand ich oft in Charlies abgedunkeltem Zimmer am Fenster, während er schlief. Das waren gestohlene Momente, in denen ich unseren Sohn lange und gründlich betrachten konnte, ohne dass er protestierte, ohne dass er sein Gesicht zu dieser mürrischen Grimasse eines hartgesottenen Burschen verzog, die ich als Vorboten der Pubertät fürchtete. Im Schlaf besaß sein Gesicht noch die gleiche vollkommene Schönheit wie damals, als er klein war.
    Von seinem Fenster aus schaute ich in den Sternenhimmel. In Lherm konnte ich an einem klaren Abend immer Hunderte von Sternen sehen und manchmal auch den Mond, der riesig groß zwischen ihnen hing.
    Lange vorher, in Sydney, als Charlie noch ein Baby gewesen war, war er manchmal mitten in der Nacht aufgewacht. Sein Schreien zerriss die Stille, und wir fanden ihn dann im Dunkeln in seinem Kinderbett stehend. Mit heißem, tränenverklebtem Gesicht klammerte er sich an den Stäben fest, am ganzen Körper zitternd und schweißnass.
    »Was ist denn, Charlie? Hast du schlecht geträumt?«
    Aber er konnte uns nicht sagen, welches teuflische Untier ihn so erschreckt hatte. Wir konnten es nur aus seinen glasigen, weit aufgerissenen Augen und seinem Gebrüll schließen. ich nahm ihn in die Arme, diesen untröstlichen kleinen Kerl, der seine Angst wie eine offene Wunde zeigte und sie noch nicht unter einer mürrischen Maske verbarg. Wenn ich ihn dann auf dem Arm hatte, die feuchte Warme seines Körpers spürte, mit den Lippen seine heißen Wangen liebkoste und seinen süßen Babyduft einatmete, zog ich den Vorhang vor seinem Zimmerfenster zurück. Dann zeigte ich in den violettgrauen Himmel hinauf und flüsterte ihm ins Ohr: »Charlie, kannst du den Mond sehen? Kannst du ihn da oben sehen?«
    Zuerst hörte er mich gar nicht, so laut schrie er, so benebelt war er in seinem Halbschlaf, aber dann hielt er plötzlich den Atem an, ein leichter Schauer lief über seine Schultern, und er wandte den Blick zum Himmel hinauf. Sein Fingerchen schoss hoch zu meinem Finger, und gemeinsam zeigten wir auf die merkwürdige grauweiße Scheibe. Augenblicklich war seine Angst vergessen, der wunderbare Ball am Himmel hatte sie verjagt.
    Heute Abend jedoch, hier in Paris, konnte ich von meinem alten Zimmerfenster aus gar nichts sehen. Es gab keinen grauweißen Ball, der meine Ängste zerstreut und meine Tränen getrocknet hätte. Und keinen Charlie im Nebenzimmer.
    Nichts.
    Beattie war nicht da. Ich hatte keine Ahnung, wo sie

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