Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
versuchte, an nichts Besonderes zu denken und einfach nur einen klaren Kopf zu behalten, mich von der Strömung tragen zu lassen, wohin sie mich haben wollte, und weder Widerstand zu leisten noch hindurchzuschwimmen.
Ich war fix und fertig und trieb ohne Ruder aufs Meer hinaus.
Beattie schien heute früh besonders gut gelaunt zu sein. Sie summte, obwohl es auf meiner Uhr, auf seiner Uhr, genau Viertel nach sieben war und wir in fünf Minuten losmussten, um nicht zu spät zur Arbeit zu erscheinen. Sie saß mir an unserem kleinen Küchentisch gegenüber in einem schwarzen Wollrock, Strumpfhosen und einem Rollkragenpullover in Jadegrün, der Farbe ihrer Augen. Doch, sie war komplett angezogen, bloß um den Kopf trug sie ein weißes Badetuch.
Sie war gestern erst spät nach Hause gekommen, lange nachdem ich ins Bett gefallen war. In dem großen Doppelbett hatte ich mich einsam und verloren gefühlt. Die Laken strömten noch Marcs Geruch aus, den Duft seiner Haut, und auf dem Kopfkissen fand ich Haare von ihm, sodass ich am liebsten laut nach ihm gerufen hätte, nach uns, nach Charlie.
Daher war ich noch hellwach gewesen, als ich hörte, wie beattie den Schlüssel in die Tür schob und dann wie ein Fassadenkletterer in der Wohnung herumschlich. warum diese Heimlichtuerei?, hatte ich mich wieder einmal gefragt. Wir erzählen uns doch sonst alles. Aber ihr rätselhafter Liebhaber war ein Geheimnis geblieben.
Jetzt schaute sie mich an, über ihre dampfende Teetasse hinweg. »Hast du es ihm gesagt?«
»Wem habe ich was gesagt?«
»An-nie!« ihr Blick war amüsiert. »Du weißt doch, wen ich meine! Carlo!«
Mit ausdruckslosem Gesicht erwiderte ich ihren Blick, betrachtete ihre grünen Augen und den Bogen der rotbraunen brauen, unter denen sie mich anschaute, als säße ich in einem Kreuzverhör. ich fragte mich, auf was sie hinauswollte.
»Ach, du weißt schon ...« behutsam blies sie auf ihren Tee. »Gestern hast du doch eine Stunde mit ihm gehabt.«
»Ja.« Ich nickte. »Und?«
Langsam und vorsichtig trank beattie einen Schluck. »Hast du ihm denn nicht von deinem Marlboro man erzählt?«
»Falls du Marc meinst, Beattie, nein, ich habe ihn Carlo gegenüber nicht erwähnt.«
Ich bemerkte ein überraschtes Flackern in ihren Augen. Mit einer geschmeidigen Bewegung setzte sie die Teetasse wieder ab - wie eine Katze, die ihr Pfötchen absetzt, nachdem sie sich geputzt hat. »Du hast es ihm nicht erzählt? Aber warum denn nicht, Annie? Du hast doch bestimmt -« Ihr Blick wanderte zu meinem Handgelenk, und sie brach ab. Offenbar hatte sie die Uhrzeit bemerkt.
Ich schob meinen Stuhl zurück. »Ja, wir müssen los.«
Warum, überlegte ich, als ich ans Spülbecken trat, warum nervten sie mich bloß alle seinetwegen? Erst Marc und jetzt auch noch Beattie?
Aber dann fiel mir wieder ein, wie ich in der Woche vor dem Abend, an dem ich Marc dann kennengelernt hatte, missmutig in unserer Wohnung herumgehangen und über meine Entscheidung, Carlo nicht nach Italien zu begleiten, lamentiert hatte. Mit meinem albernen Gejammer hatte ich Beattie verrückt gemacht, bis sie mir am Samstag schließlich als dringend nötige Therapie verordnet hatte, mit ihr shoppen zu gehen. Also waren wir in die Galeries Lafayette gegangen - und da hatten sie gestanden, meine Stilettos. »Ein Zeichen«, hatte Beattie gesagt. »In denen begegnest du dem Mann deines Lebens.«
Sie war immer noch nicht vom Tisch aufgestanden, daher fragte ich mich, als ich mich über das Becken beugte und meinen Teller abspülte, ob sie wohl mit ihrem weißen Turban in die Metro steigen wollte. Die alten Rituale, die ich in dieser Wohnung vor fünfzehn Jahren tagein, tagaus vollzogen hatte, erschienen mir im Augenblick steif und unnatürlich. Die Wasserhähne und Schubladen waren mir fremd, und wo um alles in der Welt hatten wir bloß das Spülmittel stehen gehabt? Unten im Hof unterhielten sich die Nachbarn, die ältere Dame, die mit ihrem kleinen weißen Terrier über uns wohnte, und der dunkelhaarige Künstlertyp mit der Hornbrille, der Klarinette spielte und ebenfalls auf unserem Gang wohnte. Seine kühlen, sinnlichen Melodien schwebten abends, wenn Beattie und ich Essen machten, durch unsere offene Tür herein. Ich hatte diese Menschen längst vergessen, diese kleine Welt, in der ich einst gelebt hatte.
»Annie?«
Ich drehte mich um. Beattie saß ganz still, mit dem Rücken zu mir. Ja, wir würden wieder zu spät kommen. Aber das war typisch für Beattie: Die
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