Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
ungeduldig herüber. Sie brechen auf, gehen ins Café. Es ist Zeit für einen Aperitif. »Tu viens ou pas?«
Mein Bein wippt auf und ab, als er ihnen winkend bedeutet, schon mal loszugehen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie erklärt man einem Mann, einem fremden Mann, dass er aufpassen soll, dass er sehr, sehr vorsichtig sein muss, wenn er an den Fluss geht - dass er ertrinken wird, wenn er hinter seinem Hund herspringt? Wie sagt man Leuten, die auf dem Weg zur Arbeit sind, dass sie heute ihr Büro nicht betreten dürfen, weil ein Flugzeug in das Gebäude krachen wird? Wie warnt man Menschen davor, an den Strand zu gehen, weil eine Flutwelle oder ein Erdbeben bevorsteht? Sie werden vielleicht höflich lächeln oder sogar über dich lachen und es dann trotzdem tun. Ich bin doch bloß eine fremde Frau auf einer Parkbank.
Ich kann nicht ins Schicksal eingreifen.
Aber er hat so ein nettes Gesicht. Irgendetwas muss ich ihm sagen. Ich öffne den Mund, doch die Worte wollen mir nicht über die Lippen. Ich könnte übers Wetter sprechen, über den herrlichen Tag. Es stimmt, die Sonne scheint, sie wirft Lichtflecken durch die Pappeln hier auf dem Platz wie auf einem Gemälde von Renoir - der Tag ist viel zu schön, um düstere Botschaften zu überbringen. Plötzlich kommt mir die Idee, dass der April vielleicht Renoirs Lieblingsmonat zum Malen war, mit der frischen, trockenen Luft, die die Farben der Blätter zur Geltung bringt. Vielleicht weckte sie seine Lebensgeister, während er den Pinsel leicht auf die Leinwand tupfte. Allerdings bezweifle ich, dass er jemals in Ozouer war. Nein, Serges Hund wäre vielleicht ein besserer Anknüpfungspunkt. Die Franzosen reden mit Vorliebe über ihre Hunde, lieber als über ihre Kinder. Also überlege ich, das Gespräch mit einem »was für ein schöner Hund ...« einzuleiten. »Aber passen Sie auf - er wird eines Tages Ihr Tod sein.«
Charlie hat recht, ich habe wirklich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Serge lächelt mich immer noch an, wahrscheinlich findet er es einfach lustig, wie mein Mund sich öffnet und schließt, als wäre ich ein Fisch, ein unentschlossener Fisch.
»Eh, Serge!« Jetzt ruft jemand anders nach ihm.
Das Herz klopft mir zum Zerspringen. Serge versperrt mir mit seinem massigen Körper die Sicht. Aber die Stimme kenne ich.
Er sieht mich erst, als er bereits neben Serge steht.
»Salut, Serge!«, sagt er und legt seinem Freund die Hand auf den Rücken. Er lächelt zu mir herunter, offensichtlich hat er mit jemand anderem gerechnet, jedenfalls nicht mit mir, hier auf einer Bank mitten in Ozouer.
Erschrocken tritt er einen Schritt zurück. »Annie.«
Marcs junges Gesicht überrascht mich stets von neuem. Mein Atem ist schneller geworden. Anscheinend lasse ich mich noch immer von meinem Herzen leiten - von meinem albernen, törichten Herzen. Ich nicke zu Marc empor, möchte aber im Moment nichts sagen. Ich fühle mich seltsam schuldig.
»Mais, vous vous connaissez?« Offensichtlich ist Serge überrascht, dass sein Freund diese Fremde kennt.
»Eh ... oui.« Marc reibt sich die Stirn.
Und mir fällt wieder ein, wie er mich damals, vor vielen Jahren, Serge vorgestellt hat. Ich erinnere mich an seinen Blick, an seinen Stolz, an seine Hand auf meinem Rücken. Hatte er Beattie genauso vorgestellt, an dem Tag, als sie zur Beerdigung hier herauskam? Hatte er ihr ebenfalls die Hand sanft ins Kreuz gelegt, fast ohne sie zu berühren, nur so, dass er die Hitze ihres Körpers unter ihrem Kleid spürte?
Marc schaut von mir zu Serge und wieder zu mir. Wir schweigen, es ist ein peinliches Schweigen. Mit hochgezogener Augenbraue sucht er meinen Blick. Da wird mir klar, dass er wissen möchte, ob ich etwas gesagt habe, etwas über den Fluss, über Serges Hund.
Ich schüttle den Kopf, nein.
»Bon.« Serge klatscht in die riesigen Hände. »Je vous laisse. Je vais au café.«
Er will ins Café. Marc nickt, und Serge schlägt ihm mit der flachen Hand auf den Rücken. Sie sind alte Freunde. Dann wendet er sich ab und pfeift seinen Hund zu sich, seinen besten Freund.
»Au revoir, Mademoiselle!«
Ich schaue zu, wie er die Tür zum Café aufzieht und im Inneren verschwindet. Er ist fort. Wir haben ihn gehen lassen, ohne etwas zu sagen, ohne ihn zu warnen.
»Wir könnten den Hund entführen«, bemerke ich vorsichtig.
»Non.« Marc schüttelt den Kopf. »Dann besorgt er sich einen Neuen. Seit seiner Kindheit hat er immer einen Hund gehabt. Er liebt
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