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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
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da.
    »Wir wollten uns doch trennen, Annie«, höre ich Marc sagen. Das weiß ich, denke ich, schüttle den Kopf und wünsche mir, dass der Mann mir gegenüber mich nicht mehr anstarren, sondern einfach seine Zeitung lesen würde. Das weiß ich doch!
    Gerade als die Kirchenglocken ihr Mittagsläuten anstimmen, hält der Bus auf dem Marktplatz, auf diesem sonst so stillen Dorfplatz, den ich gut kenne. Neben der mächtigen, düsteren grauen Kirche steht der Glockenturm und wirft seinen Schatten über die Pappeln unten an seinem Fuß. Ein Stück weiter befindet sich das Café-Tabac, Le Carmiya, wo die Einheimischen sich ihre Dosis Koffein und ihren Tabak besorgen. Gegenüber, in einer Reihe cremeweißer Häuser mit Fensterläden, die sich bis zu Marcs Elternhaus hinzieht, ist die boulangerie. Doch während ich mitten auf dem Platz stehe, trifft es mich wie ein Schlag: Genau hier hat Beattie mit ihm gestanden.
    Vor der boulangerie hat sich eine Schlange gebildet, die bis auf die Straße reicht. Vor dem Mittagessen kommen die Leute in Scharen, um noch schnell ihre Baguettes zu kaufen, bevor der Bäcker schließt. Rasch lasse ich den Blick über die anstehenden Dorfbewohner gleiten. Ich halte Ausschau nach Maurice, nach seinem grauen Haar und dem vertrauten Gesicht, das Marcs Gesicht so ähnlich ist. Vielleicht sind sie auch zusammen hier. Aber die Luft ist rein, bis auf die alte Madame Murat, ihre Nachbarin, die mit Gehstock, Handtasche, schmalen Lippen und starrem Blick in der Schlange wartet. Mit einem Lächeln nicke ich ihr zu, aber sie wendet sich ab. Da wird mir klar, dass sie mich ja noch gar nicht kennt. Selbst wenn ich direkt in Marcs Eltern hineinlaufen würde, würden sie mich keines Blickes würdigen, denn sie haben mich noch nicht kennengelernt! Ich setze mich auf eine Steinbank unter einer Pappel.
    Ich bin unsichtbar, bloß ein Schatten, nichts als eine Wolke, die über ihren Köpfen entlangzieht.
    Ein Stückchen weiter auf dem Sandplatz spielt eine Gruppe von fünf Männern Boule. Auch hier ist Marc nicht dabei, allerdings kennt er sie fast alle, da bin ich sicher. Wenn wir am späten Sonntagnachmittag einen Spaziergang machten, ist er auf unserem Weg an den Fluss hinunter oftmals ein Weilchen hier stehen geblieben.
    Ich beobachte die Männer, wie sie mit verschränkten Armen über das Spiel nachdenken, auf den Boden stampfen, murmelnd miteinander sprechen, lachen und gelegentlich die Arme hochwerfen. Und dann bemerke ich unter ihnen einen hochgewachsenen Mann und zu seinen Füßen einen struppigen braunen Hund mit einem roten Tuch um den Hals. Mein Herz schlägt schneller. ich erkenne ihn wieder. Das ist Serge, Marcs alter Freund, der Freund, der ertrunken ist.
    Ein Schauder überläuft mich.
    Sie spielen in meine Richtung. Eine Kugel ist mir fast bis vor die Füße gerollt. ich überlege, ob ich aufstehen soll, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber dann ist das Spiel plötzlich zu Ende und Serge kommt zu mir herüber, um seine Kugel zu holen. Mit angehaltenem Atem frage ich mich, ob er etwas bemerkt, ob er mich erkannt hat. Marc hatte mich vor Jahren vorgestellt, bevor wir nach Australien abgereist sind, bevor Serge ... Doch dann wird mir bewusst, dass ich 1991 auch für ihn bloß eine Fremde war.
    »Bonjour!« Er lächelt, als er sich bückt, um seine Kugel aufzuheben. Sein Schatten fällt auf mich, während sein Hund an meinen Füßen schnuppert und mich mit seiner feuchten Schnauze an den Knöcheln kitzelt.
    »Bonjour!« Ich erwidere Serges Nicken. Als ich die Hand ausstrecke, um dem Köter den Kopf zu tätscheln, richten sich die Härchen auf meinem Arm auf. Mir ist ganz unheimlich zumute, als dieser große Mann jetzt vor mir steht, so aktiv, so lebendig. Ich habe in die Kristallkugel geschaut - ich weiß etwas, was er nicht weiß.
    Serge zögert. Er hat meinen Akzent gehört und ist neugierig. Wieder und wieder wirft er die verbeulte silberne Kugel in die Luft, ohne weiterzugehen. Er hat ein vertrauenerweckendes Gesicht. Seine braunen Augen und das dunkle, lockige Haar strahlen etwas Weiches aus, obwohl er wie ein Kämpfer gebaut ist, breitschultrig und kräftig - ein Muskelpaket. Une force de la nature. Ich lächle zurück. »Ein Lächeln kostet nichts«, habe ich Charlie immer gesagt. Aber ich möchte Serge mehr schenken, wesentlich mehr.
    Er sieht mich an, als wolle er mich etwas fragen. Frag mich, dann sag ich's dir, denke ich. Bitte, frag mich einfach!
    »Serge!«, ruft einer der Mitspieler

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