Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Schlitz. Mit einem dumpfen Scheppern schlägt er unten auf - Metall auf Holz. Auf dem Ständer brennt nur eine einzige Kerze. Hier in Ozouer passiert offensichtlich nicht viel.
Marc steht hinter mir, während ich meine Kerze neben die andere stecke. »Weißt du, was ich mir wünsche, Annie?« Ich warte ab, beobachte das Flämmchen, das dünn und spitz flackert, zu schwach, um meinen Wunsch zu erfüllen. Ich drehe mich nicht um, spüre aber seinen warmen Atem an meinem Hals, dann sein stacheliges Kinn auf meiner Haut. »Ich wünschte, es wäre nicht passiert.«
»Was soll nicht passiert sein, Marc?« Ich drehe mich so plötzlich zu ihm um, dass er rückwärts stolpert. »Welchen Teil der Geschichte meinst du?«
Ich möchte, dass er es hier in der Kirche ausspricht, in seiner Kirche. Aber es ist kaum ein Flüstern.
»Das zwischen Beattie und mir.«
»Zwischen Beattie und dir? Der Wunsch ist schon in Erfüllung gegangen, Marc.«
Er tritt zu mir, greift nach meiner Hand. »Annie - «
Ich weiche zurück. Ich will ja nicht tanzen. »Weißt du, was ich glaube, Marc?« Ich höre die Absätze der Blumenfrau rasch auf dem Kirchenboden klappern, sie kommen auf uns zu. »Ich glaube, du wünschst dir bloß, du hättest es mir nicht erzählt.«
»Chut!« Ihr Lächeln ist verschwunden.
Marc fährt sich verlegen mit der Hand durchs Haar. »Pardon, Madame.«
Ich schaue auf, um die Tränen zurückzuhalten, die meinen Stolz bedrohen. Gleich hinter Marcs Kopf steht ein Heiliger. Ist er das wieder?, frage ich mich - Beatties heiliger Antonius? Aber warum hilft er mir dann nicht hier raus? Ich versuche, meinen verschwimmenden Blick auf den Heiligen zu richten statt auf Marc - auf sein gütiges Lächeln, nicht auf das Baby in seinen Armen. Aber es nützt nichts - die Tränen strömen mir aus den Augen.
»Warum, Marc? Warum hast du das gemacht?« Die Blumenfrau bleibt hinter uns stehen. Sie murmelt etwas und bedeutet mir mit einer Geste, leiser zu sein. Aber ich kann meine Wut, meine Frustration, diesen grauenhaften Schmerz nicht zügeln.
Wie ein kleiner Junge steht Marc vor mir, wie unser kleiner Junge, mit verzweifeltem Gesicht. »Je n'étais pas bien, Annie! Ich habe mich so allein gefühlt! Je ne savais pas comment te le dire. Ich wusste nicht, wie ich -«
»Ach, Marc!« Ich bemühe mich, die Worte hervorzubringen, ohne dabei zu schreien, ohne laut zu kreischen, weil es so wehtut, das von ihm zu hören. »Du warst doch gar nicht allein! Sag bloß, du konntest mir nicht erklären, wie du dich gefühlt hast!«
Mit einem traurigen Lächeln schüttelt er den Kopf. »Non, Annie, ich konnte nicht mit dir reden.«
Und ich weine - ich weine, weil ich mich daran erinnere, wie ich neben ihm gelegen habe, wie ich mich zu ihm gedreht habe, wie ich mich mit meinem dicken, schwerfälligen Leib an ihn schmiegen wollte und wie er sich immer wieder von mir abwandte. »Ich hätte es verstanden. Du hättest es mir doch sagen können! Du hast getrauert, Marc. Ich wusste doch, was du -«
»Non, Annie!«
Sein Schrei erschreckt mich, donnernd hallt das Echo durch das Kirchenschiff, es lässt meine Trommelfelle und mein Herz erzittern - und bringt die Blumenfrau zum Verstummen. Ihre Hände erstarren. »Tu ne comprends pas, Annie! Ich konnte es dir einfach nicht erklären. Du hast dauernd gesagt, du würdest es verstehen, aber ich habe immer gedacht: wie denn?«
Ich atme schwer, denn ich weiß, was jetzt kommt.
»Du hast keine Familie gehabt. Du hast ja nicht mal mit deiner eigenen Mutter geredet!«
Zerstreut beobachte ich, dass die Blumenfrau sich umdreht und uns endlich allein lässt. Ich kann Marc nicht ansehen. Dieser Schmerz, diese Kränkung, ist unerträglich.
»Als ich das mit meinem Vater erfahren habe, habe ich mich so allein gefühlt. ich war so wütend. ich hatte Angst, Annie.«
»Und du dachtest, ich hätte das nicht gewusst?«, flüstere ich.
»Du warst ja schwanger. Du warst so glücklich. Du warst so ... complète.«
»Vollständig?«
»Du hast keine Familie gebraucht -«
»Ich habe dich gebraucht, Marc.«
»Du hast mich nicht gebraucht. Du hast nie jemanden gebraucht, Annie!«
Da spüre ich es - als wäre ich sehr, sehr weit Weg, als schwebte ich irgendwo hoch oben, beim heiligen Antonius. »Hallo!«, rufe ich dem jungen Mann unten zu. »Kannst du mich bitte von hier oben herunterholen?« Aber er hört mir nicht zu. Also hänge ich hier oben fest. Ich kann nur zuschauen, wie die junge Frau unten durch das
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