Kottenforst
kannte es. Hundertmal gehört, wenn Richy oder ihre Söhne spät nach Hause kamen und ein paar Bierchen zu viel getrunken hatten: das Stochern eines Schlüssels im Schloss an der Haustür, wenn die volle Kontrolle über die Hand fehlte oder es der falsche Schüssel war.
Versuchte da jemand, mit dem alten Schlüssel die Haustür aufzuschließen? Das konnte Richy sein, der vorzeitig von der Dienstreise nach Hause kam und in seiner Müdigkeit die Sache mit dem Schloss vergessen hatte. Auch die Tour des Leistungskurses konnte früher als geplant zu Ende sein, Lukas wusste noch nichts von dem neuen Schloss. Und natürlich konnte irgendein Betrunkener vor der Tür stehen, der sich im Haus geirrt hatte.
Alle Versuche, sich selbst zu beruhigen, waren vergeblich. Sie war sich fast sicher: Es war der Kerl aus der Nacht zum Dienstag. Er wusste von der Abwesenheit des Hundes, aber nichts von dem Einbau des neuen Schlosses.
Pilars Herz klopfte so heftig, dass sie fürchtete, es könne nicht lange gut gehen. Er kann nicht hereinkommen, sagte sie sich, er kann ja nicht! Womöglich kann er doch, dachte sie sogleich. Es gab andere Möglichkeiten, ins Haus zu gelangen, er konnte das nötige Werkzeug dabeihaben.
Sie erhob sich fast lautlos. Licht machen oder besser nicht? Das Licht würde den Kerl vermutlich vertreiben, doch brachte das nichts, wenn er vorhatte, später wiederzukommen. Polizei anrufen? Falls die Polizisten dann aber nicht auf einen Fremden, sondern nur auf Richy oder Lukas stießen, wäre das höchst unangenehm. Besser erst nachschauen, wer da draußen zu sehen war.
Vorsichtig ließ Pilar sich auf die Knie hinunter und tastete den Holzboden unter dem Bett ab. Dort hatte sie sich etwas bereitgelegt, das für solche Fälle geeigneter war als der Stockschirm – den marokkanischen Krummsäbel ihres Vaters, der sonst im Wohnzimmer über der Kommode hing. Die Scheide hatte sie schon vorher abgezogen, um im Ernstfall keine Zeit zu verlieren. Gleichgültig, wer draußen stand, die Waffe gab ihr Sicherheit.
Mit dem Säbel in der rechten Hand schlich Pilar in die dunkle Diele. Vor dem Fenster neben der Haustür war der Rollladen heruntergelassen, sodass der Kerl sie von draußen nicht sehen konnte. Wenn unsere Tür einen Spion hätte, durch den man unbemerkt hinausschauen könnte, wäre die Frage schnell geklärt, dachte sie. Doch derartige Überlegungen hatten Richy und ihr ganz ferngelegen, als sie sich vor vielen Jahren in die massive Eichentür aus einem alten Bauernhaus verguckt hatten.
An der Küche vorbei ging Pilar in den kleinen Flur an der Treppe. Ihr Vorhaben war riskant, gestand sie sich ein. Aber sie würde sich für alle Zeit verachten, wenn sie bibbernd im Schlafzimmer sitzen bliebe, bis die Polizei mit Blaulicht anrückte und kein Täter mehr zu sehen wäre.
Das Stochern im Schloss hatte aufgehört. Pilar blieb stehen und lauschte. Da war es wieder, zaghafter, wie ein letzter Versuch.
Im Wohnzimmer blickte die graue Finsternis des Gartens zu den Fenstern herein. Unmöglich zu sagen, ob im Buschwerk jemand stand. Zweifelnd, ob sie das Richtige tat, bewegte Pilar den Metallgriff der Terrassentür. Der Griff knackte, der Säbel stieß versehentlich gegen das Glas. Sie hielt inne. Draußen schien sich nichts zu rühren.
Pilar öffnete die Tür einen Spalt. Kühlfeuchte Luft umfing ihr Gesicht. Der düstere Himmel schien tiefer zu hängen als sonst. Zwischen den Sträuchern lag nächtliche Ruhe. Nichts bewegte sich, kein Körper hob sich dunkel ab, kein Geruch außer dem der modernden Blätter am Boden. Sie trat hinaus.
Kalt und rau fühlte Pilar die Betonplatten unter ihren nackten Füßen. Sie hätte an die Wollsocken denken sollen, die neben dem Bett lagen. In der Katzentrinkschale schwamm wie ein glänzendes Inselchen eine Scheibe Eis.
Sie hielt den Atem an und horchte. Das Dauerrauschen der Autobahn aus der Ferne. Das Brummen des Nachtbusses unten auf der Reichsstraße. Hoffentlich befand sich der Kerl noch an der Haustür. Hoffentlich war er nicht an der Seite des Hauses vorgerückt, sodass sie ihm gleich gegenüberstände.
Man würde seine Schritte im Laub hören, beruhigte sich Pilar und ging weiter zum Ende der Terrasse, zur Ecke des Hauses, wo die hohen Bambusstängel einen dichten kleinen Wald bildeten, der ihr Sichtschutz geben würde. Vorsichtig bog sie ein paar Stängel zur Seite und schob ihren Kopf dazwischen. Es raschelte kaum mehr, als wenn ein wenig Wind hineinführe. Sie wagte sich
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