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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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noch ein Stück vor. Gleich würde sie das Licht der Außenlampe sehen, die sie eingeschaltet hatte, als es dämmrig wurde.
    Aber da brannte nichts. Die gesamte Seite des Hauses war düster. Nur die Straßenlaterne schickte einen schwachen gelben Schein herüber. Vor der Haustür stand eine dunkel gekleidete Gestalt, die sich langsam in Pilars Richtung wandte.
    Pilar erschrak. Sie sah kein Gesicht. Kein Schimmern der Haut oder der Augen. Alles schwarz. Der Kopf war verhüllt.
    Sie traute sich kaum zu atmen. Würde sie, wenn nötig, zustoßen können? Ihre Muskeln würden ihr nicht gehorchen, den Säbel würde sie fallen lassen!
    Der schwarze Kopf drehte sich in die andere Richtung, zur Straße hin, die im Hintergrund feucht schimmerte. Mit dem linken Arm machte die Gestalt eine Bewegung, als ob sie etwas in ihre Manteltasche steckte – den Schlüssel? Sie blieb vor der Haustür stehen, unentschlossen, wie es schien, oder lauschend. Pilar beugte sich ein Stück weiter vor, um die Silhouette besser sehen zu können. Einer der Bambusstängel rutschte ihr aus der Hand und schwang knirschend gegen die anderen. Oh, verdammt.
    Die Gestalt entfernte sich ohne Eile. Pilar stieß die angehaltene Luft aus. Die Haltung, der Gang, die Statur, deren Form sich unter dem Mantel ungenau abzeichnete und eine Taille erahnen ließ – das war kein Mann. Pilar glaubte zu erkennen, wer es war.
    Ich muss mich irren, ich irre mich sicher, redete sie sich ein, als sie ins Haus zurücklief, die eisigen Betonplatten nur mit den Kanten ihrer schmerzenden Füße berührend. Sie schloss die Terrassentür und machte Licht. Was sie beobachtet hatte, kam ihr vor wie ein Traumbild. Sie fixierte die Gegenstände im Wohnzimmer. Das massige Klavier mit dem Messingleuchter darauf und der Bodenvase daneben, die dunkle Kommode mit dem jahrhundertealten Schnitzwerk, die ihr Vater in Cordoba gekauft hatte, der Messingknauf, an dem sonst der Krummsäbel hing, und das Landschaftsbild überm Sofa, das sie selbst gemalt hatte. Alles real. Und ebenso wirklich war, was sie eben vor der Haustür gesehen hatte. Ich irre mich nicht, dachte Pilar, jeder Mensch hat etwas Eigenes an sich, man erkennt es von Weitem, ohne sein Gesicht zu sehen. Diese Erfahrung hatte sie oft gemacht, selten hatte sie sich getäuscht.
    Die Gestalt war Frau Fischmann. Niemand würde es ihr glauben. Sie glaubte es ja selbst kaum. Und noch weniger glaubte sie, was ihr als Schlussfolgerung durch den Kopf schoss: Wenn die Person an der Haustür Frau Fischmann gewesen war, dann war sie es auch, die sie im Schlafzimmer angegriffen hatte. Aber aus welchem Grund? Nein, es war unmöglich. Es passte einfach nicht. Entweder war die Schlussfolgerung falsch, oder sie hatte sich eben doch getäuscht.
    Pilar legte den Säbel auf den Couchtisch und griff zum Telefon. In ihrem Kopf tobte ein Sturm. Sie musste mit jemandem reden. Wen konnte sie zwei Stunden nach Mitternacht noch anrufen? Freddy? Der würde das Telefon überhaupt nicht hören. Vera war noch krank, die durfte sie nicht stören. Richy? Er würde ihr liebevoll raten, an das für ihn Nächstliegende zu denken, nämlich, dass sie sich irrte. Rita? Es wäre unmenschlich, sie zu wecken, weil sie in aller Frühe aufstand, um in einer Arztpraxis zu putzen, bevor sie frühstückte und zur Arbeit im Gemeindehaus ging. Und ihre Mutter konnte sie nicht anrufen, weil sie einen Herzanfall erleiden oder das zumindest glauben würde.
    Die Polizei. Sofort anrufen, wenn Sie Verdächtiges bemerken. Die Beamten würden kommen, ihr zuhören, alles absuchen und nichts finden. Die Person, bei der es sich womöglich um Frau Fischmann handelte, wäre bis dahin längst wieder in ihren eigenen vier Wänden. Vor allem würde Pilar davor zurückscheuen, Frau Fischmann offen zu beschuldigen und ihr die Polizei auf den Hals zu hetzen, solange nur die geringste Möglichkeit bestand, dass sie sich irrte. Einen Verdacht zu äußern war eine heikle Sache. Wenn er sich als falsch erwies, konnte das Folgen haben, an die sie gar nicht denken mochte. Niemand würde ihr verzeihen.
    Pilar blickte auf den Kater hinunter, der vor der Terrassentür saß und in den dunklen Garten hinausschaute. Der Rand des Plastikschirms kratzte über die Glasscheibe. Goethe schien draußen nichts Besonderes zu entdecken, aber Pilar bemerkte zwischen den Büschen einen entfernten Lichtschein, der aus den Fenstern des übernächsten Hauses der Parallelstraße kam. Ihre Finger wählten wie von selbst eine

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