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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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wollte ihr nachhaltig zu einer Therapie raten, so ging es ja nicht weiter. In einer Stadt wie Bonn gab es sicher gute Ärzte und Psychologen, die ihr helfen konnten. Vermutlich fehlte es ihr auch an Interessen, die sie von ihren Problemen ablenken könnten.
    Der Wasserkocher begann zu rauschen. Frau Fischmanns Hüsteln war nicht mehr zu hören. Das beunruhigte Pilar, obwohl sie es zu unterdrücken versuchte. Meinen Hang zum Misstrauen werde ich nicht los, dachte sie, während sie das kochende Wasser auf die Teeblätter goss. Sie stellte sich Frau Fischmann im Schaukelstuhl vor, wie sie, zurückgelehnt und die Beine übereinandergeschlagen, ihren wehmütigen Gedanken nachhing. Die schönen Beine mit den schicken Stiefeln. Pilar hielt inne. Sie stellte die Wasserkanne ab. Der Stiefelschaft. Das Riemchen saß locker, die Schnalle war lose. Sie wusste jetzt, weshalb. Es fehlte der Dorn. So ein Ding, wie Freddy in dem Gebüsch am Reitweg gefunden hatte.
    Pilar brach der Schweiß aus. Sie konnte sich irren. So genau hatte sie nicht hingeschaut. Den Dorn aus dem Gebüsch hatte sie noch nicht einmal gesehen, er konnte größer oder kleiner sein als der, der hier fehlte, er musste nicht von diesem Stiefel stammen.
    Pilars Gedanken flogen hin und her. Frau Fischmanns Erklärungen kamen ihr plötzlich fadenscheinig vor. Was sollte sie tun? Mit dem Brotmesser bewaffnet ins Wohnzimmer ziehen, aus dem Haus rennen, die Polizei anrufen? Das Telefon stand auf der Station im Wohnzimmer. Wo sich das zweite Telefon befand, wollte ihr nicht einfallen, und ihr Handy lag auf dem Couchtisch.
    »Frau Fischmann?«, rief Pilar nervös in Richtung Wohnzimmer. Der Tee musste noch ziehen, sie nahm schon mal das Teestövchen in die belastbare rechte Hand.
    »Ich komme, ich helfe tragen«, antwortete Frau Fischmann. »Haben Sie ein Tablett?« Ihre Stimme wirkte unruhig und sehr nah, als wäre sie bereits aufgestanden, um Pilar entgegenzugehen.
    Pilar bog um die Ecke und betrat den kleinen Flur. In dem Halbdunkel hinter dem Regal glänzte etwas auf. Metall. Irritiert blieb sie stehen.
    Zu spät. Ein Arm schoss hervor, eine Faust traf ihre Nase, dann ein Auge. Sie taumelte, konnte sich nicht halten, prallte gegen den Treppenpfosten. Schmerz überall, im Gesicht, in der Schulter. Ihr blieb die Luft weg.
    Pilar, du Dummkopf.
    Von ferne das Tock-tock. Der Katerkragen. Oder es war ihr Herz. Glitzernde graue Augen über ihr, fiebrig glänzend, ganz nah. Darunter die Klinge des marokkanischen Krummsäbels, die sich langsam hob.
    Adiós.
    * * *
    Als Freddy hinterm Steuer seiner Ente saß und den Schlüssel im Zündschloss drehte, sprang der Motor nicht an.
    »Mach schon, Alte, Pilar wartet«, murmelte er und versuchte ein zweites Mal zu starten. Wieder nichts. Während er den Schlüssel ein drittes Mal drehte, blickte er neben sich auf den Beifahrersitz, wo die Tüte mit den Briefen lag. Er könnte kurz hineinschauen, für einen ersten Überblick, eine halbe Minute, länger würde er nicht brauchen.
    Nach einem prüfenden Blick aus dem Fenster griff Freddy in die Tüte, zog eines der Blätter heraus und begann zu lesen.
    Liebe Nadja, als ich ihn heute in der Schutzhütte traf, hat der Esel gebeichtet …
    Nach ein paar Sätzen begriff Freddy. Fieberhaft flogen seine Augen über die Zeilen, dann nahm er zwei weitere Briefe heraus.
    Liebe Nadja, es stimmt, ich bin verwirrt. Aber lass die Zweifel schweigen, bitte …
    Er war fahrig, er wollte sich beeilen und las zu schnell, sodass er manches zweimal lesen musste, um zu erfassen, was da in braver, ordentlicher Handschrift blau auf weiß geschrieben stand. Unfassbar, dass Nadja Fischmann einen solchen Freund hatte! Wie viel musste er ihr bedeuten, dass sie sein Verbrechen hinnahm, sich nichts anmerken ließ und ihr Wissen vor allen verschwieg! Wie konnte eine feinfühlige Frau wie sie damit leben?
    Liebe Nadja, nach dieser schlaflosen Nacht …
    Alles um ihn herum versank hinter der Ungeheuerlichkeit dieser Geschichte – das Klirren in den Glascontainern hinter ihm, die Gruppe Kinder, die lärmend vorbeiging, das Quartett bellender Zwergdackel.
    Jedes Werkzeug sehe ich mit anderen Augen. Ich habe Phantasien, die mir früher fremd waren … Wenn sie die Katze als Warnung begreift …
    Erschrocken nahm Freddy wahr, wie die Zeit verstrich. Hastig steckte er die drei Briefe zurück in die Tüte. Dabei fing sein Blick einen Satz in einem weiteren Brief ein.
    Nachts allein in ihrem Haus, gehandicapt durch ihre

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