Kottenforst
rief sie dem Fahrer zu. Die weite Hose tanzte um ihre Beine, als sie die Wagentür hinter sich zuwarf und auf das Haus zukam. Das rote Auto fuhr wieder an. »Es et net do? Isch moss däm Pilar watt sare.«
»Watt denn – ich meine: was?«, fragte Freddy.
»Wäje de Müllabfuhr hamme höck ehn andere Stroß jenommen, als wir von de Frau Doktor kamen. On watt steht do on es däe fiese Möpp am Bütze? Et Katie!«
»Welcher Möpp?«, fragte Freddy.
Rita schnaubte verächtlich. »Watt hätt et met däm ze donn? Isch hann emol jesehen, wie der zwei kleene Jungs Jeld abjeknöpft hat!« Ritas Stimme schwoll an, ihre Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, ihre Faust hob sich. »Do hätte misch kennenjelernt!« Sie wandte sich der Tür zu und drückte ihren fleischigen Daumen auf den Klingelknopf.
»Sie meinen den Yannick«, sagte Sarah. »Er ist der Räuber von Ückesdorf.«
»Watt sachste?«
Sarah nahm den Rucksack von der Schulter. Aus dem Außenfach zog sie eine goldene Anstecknadel. »Das Ding hat er mir geschenkt.«
Rita riss ihre kleinen Augen weit auf. »Öm Joddes welle! Datt wor höck Morje en de Zeidung!«
»Und er – ist der Mörder, weil …« Sarah schluckte und zuckte hilflos mit den Schultern.
»Lukas, schnell«, drängte Freddy. »Wir brauchen die Polizei.«
»Isch hann och kehn jodes Geföhl.« Rita trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.
Sarah hob ihre Hand. »Mal still, da war was.«
Sie lauschten. Freddy konnte nichts hören. Rita schüttelte den Kopf. Er stellte die Tüte ab, lief durch den Vorgarten und blickte durchs Küchenfenster. Auf dem Tisch stand die Teekanne. Der Deckel lag daneben. In der Kanne hing ein Sieb, das bis zum Rand mit Tee gefüllt war. Pilar hatte Tee aufgegossen und war dann weggegangen? Aus der Kanne stieg kein Dampf auf, es musste eine Weile her sein. Freddy fühlte Panik in sich aufsteigen. Er lief weiter zum Gartentor an der Carport-Seite, rannte durch den Garten zur Rückseite des Hauses und presste die Stirn an das Glas der Terrassentür.
Auch hier war niemand zu sehen. Auf dem Couchtisch stand eine Schüssel, ansonsten wirkte alles recht aufgeräumt, vor allem die geschnitzte Kommode, auf der sonst manches herumlag. Die Wand darüber wirkte ungewohnt kahl. Offenbar hatte Pilar sich dazu entschlossen, den marokkanischen Säbel abzuhängen. Freddy hatte ihn nie gemocht.
Er nahm die Stirn vom kalten Glas, trat etwas nach links und blickte durch das Fenster neben der Terrassentür. Von hier aus konnte er ein Stück des kleinen Flurs sehen, der zur Küche führte. Vor der Treppe lag etwas Längliches auf dem Boden, das Ähnlichkeit mit einer Teppichrolle hatte.
Ein spitzer Schrei. Er kam von der Haustür. Rita. Himmel, durchfuhr es ihn gleichzeitig, was da lag, war keine Teppichrolle! Es war ein Mensch!
Freddy raste über die Terrasse, stolperte um den Bambus herum und über Steine und Grasbüschel dem Gartentor auf der Haustürseite entgegen.
»Polizei! 110!«, schrie er. »Vielleicht kann man sie noch retten!«
Rita, Sarah und Lukas sahen ihn nicht an. Sie blickten auf die Haustür. Ritas Gesicht war krebsrot.
»Die es net zu retten«, wetterte die Küsterin und trat einen Schritt zurück. »Do krett me et met de Angst ze donn!«
Freddy sah, dass die Tür offen stand.
»Mutter …«, murmelte Lukas.
Im Türrahmen stand Pilar, schwer atmend, das Haar zerzauster als sonst, mit blutenden Lippen, einem geschwollenen Auge und wirrem Blick. In der Hand hielt sie den Krummsäbel. Was hatte sie getan?
DAS SCHWARZ-ROTE BUCH
Nee, so darf keiner zu mir sein. So war noch nie einer zu mir. Das war’s dann. Es ist aus.
Eine Stunde habe ich hier rumgeheult, weil alles so plötzlich gekommen ist und ich mich erst dran gewöhnen muss. Dann bin ich direkt zu Tommy. Wir haben im Internet rumgesurft. Mehr als eine Stunde. Besoffen, jugendlich, fahrlässige Tötung und so, denn es war ja ein Versehen, woher sollten wir wissen, dass der Mann – ich will nicht mehr dran denken. Wir haben jedenfalls alles gefunden, was wir wissen wollten, war ganz easy. Sogar Ausschnitte aus Gerichtsurteilen haben wir gelesen. Von wegen Zukunft versaut. Von wegen zehn oder zwölf Jahre Gefängnis, das stimmt überhaupt nicht. Im Jugendstrafrecht sind sie nicht so, da wollen sie einem nix verbauen. Da soll man vor allem gebessert werden und einen Denkzettel kriegen.
Da kommen wir drüber, hat Tommy gesagt. Das glaub ich auch. Ist nur megapeinlich, wenn wir das alles der Polizei und
Weitere Kostenlose Bücher