Kottenforst
Handschuhe gedacht hat.
Das Miststück war auch noch stolz darauf, dass er sich zwischen all den »Spießern«, wie er sich ausdrückte, »getraut« hat zuzustechen, mit einem Messer, das er zufällig gefunden hatte. Auf die Schulter getippt hat er die Frau, damit sie sich ihm zuwandte, mit der Musik sei alles so »geil« gewesen. Wie eine Art Mutprobe schilderte er es, sodass ich den Eindruck gewann, die Spitzhacke sei ihm zu langweilig gewesen. Unverständlicher Wahnsinn! Warum hat er es nicht aufgeschoben? Vermutlich lag es am Geld. Er wollte nicht länger darauf warten müssen. Gier macht ungeduldig. Der regennasse Wald kam mir plötzlich düster und deprimierend vor.
Nun, er hat es geschafft und mir zudem versichert, dass niemand etwas weiß. Er hätte es nicht getan, wenn die Umstände nicht so günstig gewesen wären, wenn er nicht im Dunkeln hätte kommen und gehen können, die schwarze Mütze tief ins Gesicht gezogen. Dennoch bin ich beunruhigt. Ich misstraue seinen Worten und fürchte, er hat von Anfang an unter den Zuschauern gestanden und seinem Opfer frech ins Gesicht geschaut.
Über das Messer wird viel geredet. Vor allem über die Person, der es gehört. Welch groteskes Zusammenspiel! Der Gedanke, dass sie auf diese Weise in die Sache hineingezogen wird, hat seinen Reiz. Man kann das eine oder andere Wort dazugeben und etwas Öl ins Feuer gießen. Sie weiß nicht, wer ich bin, sie hat keine Ahnung.
Dir alles Liebe,
Chris
FÜNF
»Also, was willst du?«, sagte Richard am Montag beim Frühstück zu Pilar. »Hier steht: ›Brutal erstochen … ungewöhnliche Kaltblütigkeit …‹, aber kein Wort über eine schlampige Theatergruppenchefin.« Er schlug die Zeitung zu. »Kein Wort von unserem Messer.«
»Sag es nicht deiner Mutter«, murmelte Pilar.
»Edith interessiert sich nur noch für den Weihnachtsmarkt. Dazu gibt es hier zwei bunte Seiten.« Richard nahm eine Grapefruit von der Obstplatte und teilte sie in zwei Hälften.
Weihnachtsmarkt … Die Innenstadt mit ihren bunten Buden und dem Duft von Glühwein lag für Pilar auf einem anderen Erdteil. Weihnachten war ein Stück ferner, unwirklicher Zukunft.
Richard bearbeitete eine der Grapefruithälften mit einem schmalen Messer und schnitt kleine Dreiecke aus dem Fruchtfleisch. Mit der Spitze des Messers spießte er eines der Dreiecke auf und führte es zum Mund. Pilar ertrug den Anblick kaum. Wieder bohrte sich das Messer in das rote Fruchtfleisch und näherte sich seinen Lippen.
Pilar schaute nicht länger hin. Für sie hatten Messer eine neue Bedeutung bekommen. Dieses musste schnellstens in der Spülmaschine verschwinden, wenn Richard fertig war. Das Brotmesser hatte sie schon unters Holzbrett geschoben, und den Messerblock, den Richard gekauft und auf die Arbeitsplatte gestellt hatte, damit jederzeit ein scharfes Messer zur Hand war, wollte sie in der Mülltonne versenken, sobald er fort war. Beim Anblick solcher Messer konnte sie an nichts anderes mehr denken als an Blut und Tod.
Richard ging in die Diele und setzte sich seinen Fahrradhelm auf. »Es besteht nicht der geringste Anlass zur Hysterie«, meinte er. »Aber in diesem Punkt bis du wie deine Mutter.«
»Besten Dank«, fauchte Pilar.
»Immer regst du dich völlig umsonst auf, meine Süße«, milderte er sein Urteil ab. »Das schadet dir nur.«
Pilar seufzte. Sie goss den restlichen Kaffee in ihre Tasse. Ein Tee aus Hopfen und Baldrian wäre vernünftiger gewesen.
»Warum machst du dich so fertig? Entspann dich.« Richard bückte sich und legte neongelbe Bänder um seine Hosenbeine. »Kein Mensch wird dir vorwerfen, dass es dein Messer war. Der Täter hätte genauso gut sein eigenes Messer nehmen können, glaub mir.«
Pilar wollte es gern glauben, obwohl sich ihr der Gedanke aufdrängte, dass der Mörder sein eigenes Messer überhaupt nicht benutzt hätte, weil es ihn leichter verraten hätte. Sie zog die Zeitung zu sich heran.
Die Tür fiel hinter Richard zu. Von draußen hörte sie das Knacken der Gangschaltung, dann war es still. Mit Gänsehaut an den Armen, die Finger leicht zitternd, studierte sie den Lokalteil: ein kleines Foto der ernst blickenden Frau Holzbeisser an einem Konzertflügel, ein großes von Polizisten und Einsatzwagen vor dem Gemeindehaus und ein weiteres von der vertäfelten Wand im Saal. Zum Glück kein Foto von Tommys bluttriefender Malerei. Der Zeitungsartikel enthielt nicht einmal eine Andeutung davon, dass die Leiterin der Gruppe achtlos ihr Messer
Weitere Kostenlose Bücher