Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
Vom Netzwerk:
nicht an den Samstagabend denken oder gar darüber reden. Später. Im Moment gab es Wichtigeres: Sie musste Nogger ausführen, der wartete auf sie.
    Noch in Gedanken an den armen Freddy und die kalte Dusche, die sie ihm verpasst hatte, an ihre Launen und ihren Charakter, der womöglich ein schlechter war, machte sich Pilar auf den Weg.
    Neben den Buchbesprechungen und Übersetzungen war Nogger ein Job, den ihr Sylvia Ebel aus dem Haus gegenüber angeboten hatte, als sie im Begriff gewesen war, eine Stelle in der Universitätsklinik anzunehmen. Pilar hätte den Hund auch ohne den täglichen Zehn-Euro-Schein der Ärztin ausgeführt, aber sie konnte den Zusatzverdienst gut gebrauchen. Manchmal bedauerte sie, dass sie nach Damians Geburt ihr Volontariat beim General-Anzeiger abgebrochen hatte. Wäre sie Redakteurin geworden, hätten sie das Haus inzwischen längst abbezahlt. Sie wäre nicht auf die Idee gekommen, eine Theatergruppe zu gründen, hätte nicht mal Zeit dafür gehabt. Das rote Messer wäre in der Küche geblieben, und die verdammte Premiere hätte niemals stattgefunden.
    Soweit sich Noggers Herkunft bestimmen ließ, war er ein Labrador-Hirtenhund-Mix in der Farbe von Nussnougat. Nach jedem Wochenende kam er Pilar etwas dicker vor. Ob es diesmal wieder so sein würde, ließ sich natürlich erst feststellen, wenn sich die grün lackierte Haustür öffnete und den Blick auf seinen stämmigen Körper preisgab. Und da lag das Problem: Sie konnte sich nicht öffnen, weil Pilar, die bereits vor dem Haus stand, den Schlüssel nicht fand. Sie kramte in den Taschen ihres Mantels und ihrer Hose, fand Taschentücher, Kassenzettel, Bonbons und ihren eigenen Schlüssel, doch Sylvias war nicht dabei. Aber sie hatte ihn doch … Sie wusste nicht mehr, was sie damit getan hatte, sie sah sich nur ihre Tür zuziehen, als nebenan gerade Frau Winter ohne die Spur ihres üblichen Lächelns in ihren silberfarbenen Peugeot stieg und statt eines Grußes einen Blick herüberwarf, der Pilar hatte frösteln lassen.
    Hinter der Tür bellte Nogger sonor, aber aufgeregt und kratzte mit der Pfote übers Holz, sodass Pilar mit Sorge an den Lack dachte. Sie sprach der Tür beruhigende Worte zu und ging zurück über die Straße. Einen Moment lang ärgerte sie sich über die Bierdosen und Zigarettenschachteln, die irgendwer am Wochenende in ihren Vorgarten geworfen hatte. Als sie die Haustür aufschloss, lag der Schlüssel vor ihrem geistigen Auge auf der Kommode in der Diele. Leider nicht in Wirklichkeit. Wie konnte sie sich so irren, wieso wusste sie nicht, wo sie ihn hingelegt hatte? Demenz mit siebenundvierzig?
    An dem Brett neben der Tür hingen jede Menge Schlüssel – für Schuppen und Briefkasten, fürs Gemeindehaus, für die Wohnungen ihrer Mutter und ihrer Schwiegermutter, außerdem rund zwei Dutzend Fahrradschlüssel, von denen die meisten zu defekten und längst ausgemusterten Schlössern gehörten. Pilar rückte die Kommode von der Wand ab. Auch in dem Wust aus Staubbällen, Stoffmäusen und Bonbonpapieren konnte sie Sylvias Schlüssel nicht entdecken. Kein Beinbruch. Sie konnte bei der alten Frau Sauerwucht nebenan klingeln, die besaß auch einen Schlüssel. Jetzt nur nicht den eigenen hier drin vergessen! Den Ersatzschlüssel hatte Vera, die im Rahmen eines Kulturaustauschs mit ihrer Klasse nach Usbekistan geflogen war.
    Zum Glück war Frau Sauerwucht zu Hause. Pilar lächelte, so lieb sie konnte.
    Das Gesicht der alten Dame blieb steinern. »Sie sind janz schön schlampig«, sagte sie mürrisch.
    Zum ersten Mal wurde Pilar bewusst, dass der rheinische Tonfall auch böse klingen konnte. »Ich habe schlecht geschlafen und den Schlüssel verlegt«, erklärte sie.
    »Ich hab datt anders jemeint«, knurrte Frau Sauerwucht mit eisigem Blick aus wässrig blauen Augen. Zögernd reichte sie Pilar den Schlüssel. »Datt Sie mir den auch zurückbringen!«
    Mit Schwung warf Frau Sauerwucht die Tür zu. Pilar konnte gerade noch die Hand zurückziehen. Warum war die alte Dame so unfreundlich? Pilar verscheuchte den Gedanken. Alles Einbildung. Richy hatte recht, wie immer. Oder doch meistens.
    Nogger begrüßte sie mit ausgiebigem Schwanzwedeln, als die Haustür aufsprang. Sie liefen zusammen zum nächsten der Ückesdorfer Wäldchen und dort den geschwungenen Trampelpfad entlang. Pilar musste aufpassen, dass der Hund ihr nicht vor die Füße geriet oder mit dem Kopf gegen einen Baum stieß, denn neuerdings war er blind wie ein Maulwurf.

Weitere Kostenlose Bücher